Zuckermond
entspannter Absacker in einer Bar, dann nach Hause – das war sein Plan. Doch manchmal kommt es anders, als man denkt. Und so erschien es ihm wie ein böser Alptraum, als er Marcel in dieser Bar beim wilden Knutschen und Fummeln mit einem attraktiven Mann ertappt hatte. Dass dies kein Kunde sein konnte, sah Rafael auf den ersten Blick. Zunächst hatte er weglaufen wollen. Fort von diesem schmerzenden Anblick und dann so tun, als hätte er nichts gesehen. Aber die Beine hatten ihm den Dienst versagt. Wie angewurzelt hatte er dagestanden, seinen Augen nicht getraut und einen tiefen Schmerz in sich verspürt. Als Marcel schließlich ebenfalls auf ihn aufmerksam wurde, hatte er ihn – mit der Hand in der Hose des anderen – lediglich kalt lächelnd angeblickt und gesagt: „Oh, hallo,Rafael. Darf ich dir meinen neuen Freund vorstellen?“ Diese Worte waren für ihn wie ein Schlag ins Gesicht gewesen. Er war weder zu irgendeinem klaren Gedanken, geschweige denn zu den passenden Worten fähig, aber zu seiner großen Erleichterung gehorchten ihm seine Beine endlich wieder und er sah zu, dass er so schnell wie möglich fortkam. Wenn Rafael sich gefühlsmäßig auf jemanden einließ, dann ganz oder gar nicht. Und dazu gehörte für ihn absolute Treue. Die Kundschaft, die für das nötige Kleingeld sorgte, zählte dabei nicht. Schließlich ging auch Rafael seinem Job nach. Aber die Szene am Abend zuvor zerrte an seinem Herzen und trieb ihm nun die Tränen in die Augen. Mit wehmütigem Gesichtsausdruck dachte er an den Abend, an dem er Marcel kennen gelernt hatte… Rafael war an diesem bewussten Abend versonnen durch den Frankfurter Innenstadtbereich, den man bequem zu Fuß abklappern konnte, geschlendert und erreichte den ihm allzu gut bekannten Rotlichtbezirk, der tagsüber fest in der Hand des Business lag, und abends zu einer Örtlichkeit mutierte, in der es richtig zur Sache ging. Ein Ort, an dem man sich als Frau ab einer gewissen Uhrzeit nicht mehr alleine aufhalten sollte – vor allem nicht in den Seitenstraßen der Kaiserstraße. Der Rotlichtbezirk von Frankfurt, direkt gegenüber dem Hauptbahnhof beginnend, zeigte auch an diesem Abend ein buntes Treiben und Rafael wurde zum wiederholten Male bewusst, dass wohl in keinem anderen Rotlichtbezirk Business, Geld und Sex so nah beieinander lagen. Das Bankenviertel, ebenfalls im Rotlichtbezirk, hatte sich mit seinen Wolkenkratzern von Osten und Norden her ins Bahnhofsviertel „hineingefressen“ und aus eigener Erfahrung wusste Rafael, dass die beste Kundschaft von dort stammte. Nicht selten suchten Banker und Börsenbroker im Bordell Trost für verzockte Geschäfte – oder sie gönnten sich eine Belohnung für besondere Gewinne. Noch vor gut 100 Jahren galt dieser Bezirk als Frankfurts Renommierviertel, doch die offene Drogenszene und die Bordellbetriebe hatten dieses Viertel, welches sich über gerade mal knapp einen Quadratkilometer erstreckte, in Verruf gebracht. Zwischen dem „Gewerbe“ tummelten sich edle Boutiquen, schicke Straßencafes, italienische Lebensmittelläden, türkische Obst- und Gemüsehändler, afrikanische Supermärkte, orientalische Teehäuser, Pfandleihen, Kebabhäuser, asiatische Imbissbuden sowie „Ein-Euro-Läden“ mit teils obskurem Warenangebot. Für Rafael gehörte dieses Viertel zu seinem Leben und obwohl er wusste, wie viel Elend es teilweise barg, zog es ihn immer wieder hierhin zurück, lagen hier doch die Wurzeln seines Daseins. Er hatte viele Verehrer. Sowohl männliche als auch weibliche, aber bisher war es niemandem gelungen, sein Herz zu erobern oder gar seine Seele zu berühren. Von der tiefen Freundschaft zu Leonard einmal abgesehen. Er war ein hübscher, fast schon als „schön“ zu bezeichnender junger Mann mit dunklem, etwas mehr als schulterlangem Haar und feinen Gesichtszügen. Während Leonard eher männliche Züge hatte, waren Rafaels eher jungenhaft schön und etwas androgyn. In seinen dunklen Augen lag oft ein melancholischer Zug und sein fein geschnittener Mund lachte nur sehr selten. Seine schlanke Gestalt steckte meist in schwarzen Lederhosen, lose darüber fallenden Hemden in den verschiedensten Farben, die am Hals von locker geknoteten Bändern aus Leder gehalten wurden. Oder aber er trug hautenge Hosen mit Leopardenmuster. Sein Markenzeichen aber waren seine Plüschjacken, die er gleich in mehreren Farben hatte und die er hütete wie seinen Augapfel. Dass er an diesem Abend bei seinen Streifzügen durch
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