Zuckerpüppchen - Was danach geschah
zumindest ihr Körper gefiel ihm. Inspirierte ihn zu seinen Träumereien. Sie schloß die Augen. In ihrem Kopf hämmerte es. Als sie Hubert wieder ansah, war er gleich dreifach da. Dreimal dieser schmale, wohlfrisierte Kopf. Seine leicht gebogene Nase. Die hellblauen Augen, die sie prüfend musterten. Der schmale Mund, der sie anlächelte. Alles dreifach. Und dann drehten sich die Köpfe, einer verschwand hinter dem anderen, bis sie zu einer Person zusammenschmolzen. “Ist dir nicht gut?” fragte Hubert und trank sein Glas leer. “Mir geht es ausgezeichnet”, antwortete Gaby. “Sozusagen ganz und gar ausgezeichnet.”
Sie lag im verdunkelten Zimmer, die Augen geschlossen und versuchte sich zu entspannen. Ganz allmählich begannen die Zäpfchen zu wirken. Die rasenden Stiche im Kopf verwandelten sich in einen dumpfen Druck, ihr rebellierender Magen sank in sich zusammen, in ihren tauben Fingern begann das Blut wieder prickelnd zu fließen.
Sie hörte Alex in seinem Bettchen kleine Grunzgeräusche machen und fühlte eine jähe, panische Angst in sich aufsteigen. Wie hatte sie dieses Kind gebären können? Was für eine Zukunft hatte es? Konnte sie dem Kind ein glückliches Elternhaus bieten? Einen verantwortungsvollen Vater, eine liebevolle Mutter? Natürlich gab es keine Garantie, aber hätte sie es nicht besser wissen müssen? Sie wußte doch, was es für Kinder bedeutete, mit Angst groß zu werden. “Wie lebte man ohne Angst?” hatte sie sich als Kind gefragt. Sie wollte ihren Kindern so gern diese Angst ersparen. Diese Angst vor dem Unsicheren, dem Unbestimmten. Die Angst, die das Denken verengt, die keinen Platz läßt für unbeschwertes Genießen, Lebensfreude. Kinder brauchen Sicherheit, Vertrauen, eine stabile Basis, von der aus sie langsam flügge werden können. Konnte sie ihren Kindern diese Basis bieten?
Als sie gestern von ihrem Abend zu zweit ins Hotel zurückgekommen waren und Gaby sich schon ausgezogen hatte, zog Hubert auf einmal seine Sportjacke wieder an. “Ich gehe noch etwas spazieren!” — “Spazieren?” fragte Gaby. “Jetzt, um zwei Uhr?” — “Gibt es eine Uhrzeit, zu der man nicht spazieren gehen darf?” — “Nein, natürlich nicht, ich meine ja auch nur...” Sie sagte nicht, daß sie meinte, daß sie doch gerade erst zurückgekommen waren, und warum er nicht mit ihr noch einen Spaziergang gemacht hatte; ob es überhaupt ein Spaziergang war, den er machen wollte. Sie sagte nur noch: “Also, bis dann!” Und hoffte, daß bis dann bald sein würde, daß er tatsächlich nur das Bedürfnis fühlte, allein zu sein, alleine spazierenzugehen. Daran war nichts Schlimmes, nichts Beängstigendes. Aber da lag etwas in seinen Augen, die ihrem Blick auswichen, und dann die Art, wie er entschlossen seine Hose über die Taille zog, als befürchte er, sie würde herabrutschen, ihn entblößen. Sie hatte sich dann stundenlang hin- und hergeworfen, ihre Befürchtungen, ihre Ängste erdrückten sie. Was ist das für ein Spaziergang, der Stunden dauert? Hatte er eine Verabredung? Konnte ihm etwas passiert sein? Was trieb ihn weg von ihr? Was ging in diesem Mann vor? Als er dann endlich in der Morgendämmerung zurück in ihr Zimmer kam, auf Zehenspitzen, um sie nicht zu wecken, stellte sie sich schlafend, zog sich das Laken über den Kopf. Doch der fremde Geruch von Rauch und Parfüm und wer weiß was, drang durch die Fasern hindurch, legte sich wie eine Klammer um ihren Hals. Sie versuchte ganz flach zu atmen, nur durch den Mund, und spürte das monotone Hämmern in ihrem Kopf. Sie war der Migräne beinahe dankbar, brauchte sie sich doch nicht am nächsten Morgen mit ihm auseinanderzusetzen, ihn nicht anzusehen.
Als er aufstand, gutgelaunt und leise singend, bat sie ihn mit erstickter Stimme: “Kümmere dich bitte um die Kinder. Ich habe Migräne.” — “Natürlich, Kleines. Wie schade, gerade heute. Wir wollten doch zusammen mit Marie-Luise etwas rausfahren!” Marie-Luise! “Fahr nur”, murmelte sie und meinte, fahr zur Hölle oder auch sonstwohin, aber laß mich in Ruhe, ich verrecke vor Schmerzen, ich will nichts mehr, nicht fahren, nicht laufen, nichts, nur Ruhe, endlich Ruhe. Als er mit Daniel dann das Zimmer verließ, nachdem Alex versorgt war, atmete sie auf. Daniel hatte ihr noch zwei Küßchen auf die Wange gehaucht. “Ganz vorsichtig, Mammi, dann bist du heute abend wieder besser.” Sie hatte ihm zugeblinzelt, den Mund zu einem schiefen Lächeln verzogen. “Sicher,
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