Zuckerpüppchen - Was danach geschah
nur Aggressionen ausgelöst. “Ich kann jederzeit aufhören”, hatte er gesagt und sich demonstrativ einen neuen Whisky eingeschenkt. “Mir schmeckt es, nicht mehr und nicht weniger.” Für Gaby schien damit der Weg mit ihm vorprogrammiert. Ein Weg, der sie zusammen mit ihm an den Abgrund geführt hätte. Deswegen hatte sie sich so schnell von ihm scheiden lassen. Sie wollte nicht abstürzen. — Um so dankbarer war sie Hubert. Er sorgte gut für ihre Kinder. Sie konnten weiter die Oberschule besuchen. Natalie hatte gerade mit Glanz und Glorie ihr Abitur gemacht. Und jetzt sollte sie Jura in Leiden studieren.
“Das ist auch der Grund, daß wir uns ein Haus kaufen können”, erklärte Hubert ihr. “Entweder muß ich für Natalie einen hohen Beitrag zum Studium bezahlen, oder wir bezahlen die Hypothek für unser Haus. Weil ich für sie Kindergeld bekomme, werde ich als ihr Ernährer gesehen. Und nur, wenn ich selbst hohe Verpflichtungen habe, brauche ich nicht für ihre Ausbildung aufzukommen.”
“Und wie kann sie dann studieren?” Gaby wußte, wie wichtig für Natalie ihre zukünftige Ausbildung war. Engagiert und ehrgeizig wollte sie sich als Rechtsanwältin für sozial Schwächere einsetzen. Ihre Mutter zweifelte nicht einen Moment daran, daß sie ihr Ziel erreichen würde. “Sie bekommt ein Stipendium. Das ist eindeutig. Später, wenn sie selbst genug verdient, muß sie es dann zurückzahlen.” Das erschien Gaby recht und billig. Hubert hatte selbst auch sein Studium mit einem Stipendium finanziert. Weil sein Vater seine Mutter verlassen hatte. Ab einem gewissen Alter hatte man auch selbst Verpflichtungen zu übernehmen.
Ein eigenes Haus! Hubert verpflichtete sich mit einer Hypothekschuld für dreißig Jahre. Dreißig Jahre! Ihre Zukunft an seiner Seite war gesichert. Er liebte und sorgte für sie und die Kinder. Er bot ihnen ein eigenes Heim, etwas, das ihnen gehörte. Wie hatte sie nur an ihm zweifeln können?!
“Findest du es nicht schrecklich, daß deine Tochter aus dem Haus ist?” Huberts Mutter sah Gaby prüfend an. “Mir hat es beinahe das Herz gebrochen, als Cornelia mich verließ.”
“Cornelia hat geheiratet, Mutter”, warf Hubert ein.
“Ja, geheiratet. Sag ich ja. Es war ein schlimmer Schlag für mich. Erst Hubert, viel zu früh natürlich, und man hat ja gesehen, was es brachte: geschieden. Dann Berthold, na ja, der mußte heiraten, sonst wäre das nie etwas mit Laura geworden. Ich glaube, es war auch schon aus zwischen den beiden, aber ja, ein Kind... Und dann meine kleine Cornelia... Man hat es nicht einfach als Mutter. Erst zieht man die Kinder groß, und dann lassen sie einen im Stich.” Sie schwiegen alle drei. Huberts Mutter, weil sie ihr Schicksal beklagte, daß ihre Kinder nicht lebenslang an ihrer Seite blieben. Hubert, weil er über das Thema keine Diskussion wollte. Und Gaby aus Angst.
Sie hätte gerne gesagt, daß sie es normal fand, daß erwachsene Kinder aus dem Hause gingen. Um zu heiraten, um zu studieren oder auch nur, um sich abzunabeln. Aber sie schwieg. Huberts Mutter hatte eine unnachahmliche Art und Weise sie anzusehen, wenn sie eine andere Meinung als sie äußerte. So etwa wie: “Wie kannst du nur”, oder: “Na ja, ich habe ja schon immer gewußt...”, oder: “Ich glaube, ich höre nicht richtig.” Das letztere sagte sie auch hin und wieder. Ganz subtil. “Du meinst doch sicher dies und das, drückst dich nur ein wenig ungeschickt aus?” Wenn Gaby einen guten Tag, die Beruhigungstabletten ihre Wirkung getan und ein oder zwei Glas Wein ihrer Angst einen Mantel übergelegt hatten, bestand sie auf ihrer Meinung. Aber meistens gab sie auf, wechselte nach einem undeutlichen: “Das kann schon sein” oder: “Wenn du meinst”, das Thema.
Sollte sie jetzt sagen, daß sie aufgeatmet hatte, als Natalie das Haus verlassen hatte? Sie fühlte, daß es für ihre Tochter und für sie selbst das beste war. Natalie war nach Leiden gezogen. Die Universität dort hatte einen ausgezeichneten Namen. Natalie hatte sich für das Jurastudium eingeschrieben. Der Umzug aus dem Elternhaus war mit Huberts und Gabys Hilfe reibungslos verlaufen. Natalies neues Zimmer in dem zweihundert Jahre alten Fachwerkhaus war klein und dunkel. Doch für Natalie war es das Wartezimmer zum Paradies. Weg von der einengenden Bürgerlichkeit in Arnheim, weg von Birgit, mit der sie einen für Gaby unbegreiflichen Kleinkrieg führte, hin zu Freiheit, Glück, Selbständigkeit. Nein, Gaby
Weitere Kostenlose Bücher