Zuckerpüppchen - Was danach geschah
fürs Theater zurechtmachen. Ich kann euer Geschnatter im Augenblick nicht mehr ertragen.” Alex war den ganzen Tag schon so unruhig gewesen, und Daniel maulte ein wenig, weil er den Babysitter nicht mochte, der abends auf sie aufpassen sollte. “Wir gehen gleich fort.” Hubert hatte sie mißbilligend angesehen. “Laß doch die Kinder, wenn sie bei dir sein wollen. Du kannst sie doch nicht einfach wegschicken.” Die Kinder hatten ihm aufmerksam zugehört. “Kann ich wohl”, hatte Gaby in plötzlich aufgeflammter Wut gesagt. “Natürlich kann ich meine Kinder einmal hinausschicken.” Daniel war sofort verschwunden, als sie ihre Stimme erhob, aber Alex begann lauthals zu schreien. Dicke Krokodilstränen rollten seine Wangen hinunter. Hubert hatte ihn auf den Arm genommen und ihn getröstet. Ihr hatte er nur einen vernichtenden Blick zugeworfen.
Am liebsten wäre Gaby jetzt aus dem Wagen gesprungen und weggelaufen. Aber sie wußte, daß Weglaufen nichts brachte. “Du mußt dich den Problernen mit deinem Mann stellen”, hatte Jaap in der letzten Sitzung gesagt. “Ihr könnt ja überhaupt nicht miteinander kommunizieren. Und das liegt meistens nicht an einem allein.” Ich habe es versucht, immer wieder, hatte Gaby protestiert, aber gleichzeitig auch gewußt, daß die Angst, ihn zu verletzen oder zu verlieren, sie daran gehindert hatte, ganz deutlich zu sein.
“Ich finde”, sagte sie nach einer Weile, als sie sich etwas beruhigt hatte und die deutsche Grenze schon in Reichweite war, “ich finde, daß ich meine Kinder hin und wieder hinausschicken kann. Ich finde, daß ich als Mutter auch das Recht habe, etwas für mich allein zu tun.” — “Für dich allein zu tun?” Hubert sah sie begriffsstutzig an. “Was willst du denn für dich allein tun? Wenn die Kinder im Bett sind, kannst du lesen oder handarbeiten, aber wenn sie wach sind, und sie brauchen dich, dann kannst du doch nicht einfach sagen, ich will jetzt für mich allein sein! Ganz besonders dann nicht, wenn du hinterher ins Theater gehst und die Kinder sowieso alleine bleiben müssen.” Er versucht, mir mit dem Theaterbesuch einen Schuldkomplex einzureden. Als wenn ich vergnügungssüchtig sei und meine Kinder zu oft sich selbst überlassen wären. Er greift mich an, um mich aus meiner Reserve zu locken. Wenn ich dann die Beherrschung verliere, bin ich wieder schuld. Während er doch so lieb ist, mit mir ins Theater zu gehen. Nicht darauf eingehen, beim Anfang, der Ursache, wieder beginnen. Ich wollte die Kinder hinausschicken. “Vielleicht war der Zeitpunkt nicht so günstig. Aber ich finde, auch die Kinder müssen Rücksicht lernen. Neben der Mutter und deiner Frau bin ich auch noch ich selbst.” Jetzt war der Spott in seiner Stimme nicht mehr zu überhören. “Die ersten Auswirkungen der Therapie, ist das so? Das kann ja heiter werden.”
Heiter war es ganz bestimmt nicht. “Eine Therapie”, hatte Jaap ihr in der zweiten Sitzung erklärt, “ist so etwas wie ein letzter Strohhalm, wie die Zigarette, an der du dich jetzt festhältst. Man merkt, daß man so nicht mehr weiterleben kann. Man treibt auf einen Strudel zu, der einen eines Tages in die Tiefe reißt. Jahrelang unterdrückte Ängste rufen auf die Dauer Panik und Phobien hervor. Den ersten Schritt, Gaby, hast du getan. Du beginnst, darüber zu reden.” — “Aber ich begreife meine Panik und meine Phobien nicht. Ich liebe meinen Mann, er liebt mich, ich müßte glücklich sein.” Jaap ging auf ihre Beweisführung nicht ein. “Du hast bei unserer ersten Sitzung in der Hypnose erfahren, daß du das Kind, das du selbst einmal warst, als schlechtes Mädchen bezeichnest. Wie denkst du heute darüber?” Gaby hatte unwillig mit den Schultern gezuckt und ungeschickt an der Zigarette gezogen, die sie zwischen ihren Fingern festklemmte. “Natürlich ist ein Kind mit sechs Jahren nicht unbedingt schlecht. Vielleicht konnte es auch nichts an der Situation tun. Aber das alles hat doch nichts mit dem zu tun, was ich heute fühle? Das ist alles so lange her.” — “Es ist lange her und auch wieder nicht. In deinem Kopf ist es bewahrt, als wenn es gestern geschehen ist. Doch ich möchte dich gerne unter Hypnose weiter befragen. Dann kommen wir wahrscheinlich der Sache näher.” Gaby drückte die halbgerauchte Zigarette aus und lehnte sich in dem Lehnstuhl zurück. Als sie bei der ersten Sitzung aus der Hypnose zurückgekehrt war, hatte Jaap ihr eine Tasse Kaffee eingeschenkt.
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