Zuckerpüppchen - Was danach geschah
Frau neben ihr. Was tust du hier, wollte sie sie fragen. Du bist noch viel zu jung, um hier zu sein. Sie sagte nichts. Die Kleine lächelte sie voller Traurigkeit an, nahm ihre Hand und legte sie auf ihre Brust. Eine volle rosa Brust. Gaby streichelte sie und begann wieder zu weinen. Wie schön so eine Brust ist, dachte sie, warm und weich und rund.
“Na, gefällt es dir? Sag, daß du es schön findest!” Pappi? Nein, das Gesicht über Gaby war nicht Pappis. Komisch, die Stimme kannte sie. “Sag, daß du es schön findest!” Hubert. Es war Hubert, ihr lieber, guter Mann. Sie wollte ‘ja’ sagen, ‘natürlich, Hubert, wie du meinst, Hubert’. Aber so sehr sie sich auch bemühte, es klappte nicht. Ihre Zunge lag wie ein dicker Klumpen in ihrem Mund. Aber lächeln konnte sie noch. Einfach daliegen und lächeln und die Beine breit machen. Mehr wurde von ihr nicht erwartet. Sie konnte sich wegträumen. Zu ihren Lämmern, die über grüne Wiesen sprangen. Ganz fest daran denken, dann konnte ihr nichts mehr geschehen. Es war nur die Hülle, die sie benutzten, beschmutzten. Sie selbst hatte damit nichts zu tun. Nichts und niemand konnte sie wirklich berühren.
“Du bist kein Kind mehr”, sagte Jaap zu ihr. “Nichts und niemand kann dich heute zu etwas zwingen. Du selbst entscheidest, was du willst.”
Gaby hatte ihm von der Nacht in dem Sexclub erzählt. Daß es ihr wenig ausgemacht hatte, als es endlich so weit war. Die Fahrt dahin, ja. das war die Hölle gewesen. Deswegen auch der viele Martini. Einsam hätte sie sich gefühlt, einsam und verloren. Aber dann, dort auf den rosa Matratzen, da hatte nichts sie wirklich berühren können. Da war sie weit weg gewesen.
“Du flüchtest dich fort”, sagte Jaap. “Du kannst die Wirklichkeit nicht ertragen.”
Die Wirklichkeit. Was war die Wirklichkeit? Gab es nur die eine Wirklichkeit?
Die Wirklichkeit war, daß sie jetzt wußte, wie es in einem Sexclub zuging. Hubert wußte es auch. “Weniger aufregend, als ich mir es vorgestellt hatte”, gab er zu. “Aber das lag wohl daran, daß man doch ein wenig verkrampft an die ganze Sache herangegangen ist. Richtig genießen kann man es wahrscheinlich erst beim zweiten oder dritten Mal.” Gaby hatte ihn schweigend angesehen. “Du kannst doch nicht sagen, daß es furchtbar war? Ich meine, die Atmosphäre hatte doch Niveau: gepflegte Getränke, dezente Musik, modernes Mobiliar, Leute wie du und ich.”
Du vielleicht, dachte Gaby, aber wie ich bestimmt nicht. Oder doch, die junge Frau — diese Augen — ja, vielleicht hatte er wieder recht. Es waren wahrscheinlich Leute wie du und ich. “Ich meine ja auch nur, dies war doch erst ein zögernder Beginn. Ist doch klar, daß du noch nichts davon gehabt hast. Warte mal ab, wenn wir...”
“Bitte höre auf’, hatte Gaby gesagt. “Bitte höre jetzt auf. Oder ich schreie.”
Abends hatte sie einen großen Strauß roter Rosen bekommen. “Für meine einzige, wirkliche Geliebte.” Sie fühlte sich wieder etwas besser. Der große Druck, die Angst vor dem Unbekannten, hatte der Erleichterung Platz gemacht, daß es vorbei war. Für diesmal hatte sie es hinter sich gebracht. Für meine einzige Geliebte. Das war sie. Da stand es schwarz auf weiß. Jedes Opfer lohnte sich dafür.
“Du bist kein Opferlamm mehr”, sagte Jaap zu ihr. “Heute kannst du dich wehren.”
“Wie soll ich mich wehren?” fragte sie ihn. “Wie kann ich mich wehren, für all das, was er mir angetan hat?” — “Du meinst, was dein Stiefvater dir angetan hat?” — “Ja, natürlich. Wer sonst?!” — “Schon gut. Was würdest du am liebsten tun?” Gaby überlegte. “Über ihm stehen. Auf ihn herabsehen. Ihn fragen, wie man sich fühlt, wenn man Angst hat. Ihn fragen, ob er weiß, was er getan hat. Ihn fragen, fragen, fragen.”
“Du wirst nie eine Antwort auf deine Fragen bekommen”, sagte Jaap. “Er wird nie bereit sein, dir zu antworten.” — “Aber ich will, daß er es weiß. Ich will, daß er zumindest einmal hört, wie es war. Wie es ist. Er wird mir dafür bezahlen”, fügte sie leiser hinzu. “Seinetwegen habe ich meine Mutter verloren. Seinetwegen habe ich nie mit ihr reden können.” — “Rede heute mit ihr”, sagte Jaap. Sie sah ihn verständnislos an. “Du weißt doch, daß sie tot ist.” — “Sie ist tot, aber sie ist da.” Gaby mußte an ihren Traum denken. An den Traum noch vor Alex’ Geburt. Meine beiden Jüngsten, hatte sie damals zu Mutti gesagt. Es
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