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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
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“Wenn dein Buch jetzt fertig ist, Mammi, wird dann alles wieder so wie früher?” Wie früher? ‘Wie früher’ hieß, immer verfügbar zu sein. Und Hubert und die Kinder waren wichtiger als sie selbst gewesen. Sie waren es noch immer, aber sie wollte weiterschreiben. Sich nicht mehr nur wegträumen, sondern auch wegschreiben können. Vielleicht hätte sie doch das Handtuch geworfen, wenn ihr erstes Manuskript nicht drei Monate später angenommen worden wäre. Glühend vor Aufregung wartete sie mittags auf Hubert. Pünktlich um ein Viertel vor ein Uhr kam er nach Hause. “Tag, Kleines.” Er küßte sie auf die Wange. “Ich habe einen Brief’, Gaby zitterte, doch diesmal vor Glück. Sie legte ihm den Brief auf seinen Teller. Er sah sie an, setzte sich, las. “Wie schön für dich. Herzlichen Glückwunsch.” Er legte den Brief zur Seite. “Was gibt es denn heute zu essen?” Sie drehte sich um und machte sich an den Töpfen zu schaffen. Als ihre Augen nicht mehr brannten, servierte sie das Essen: Rinderbraten in Meerrettichsoße. Ein Rezept seiner Mutter. “Mmh, lecker”, freute er sich. “Ich habe richtigen Appetit. War ein harter Vormittag. Von hüh nach hott und dann auch noch die Stabbesprechung. Ich bin geschafft.”
    Und dann komme ich mit meinem Brief, dachte Gaby. Kein Wunder, daß er nicht darauf eingehen kann. Vielleicht später, heute abend, wenn es ihm auskommt. — Sie brauchte Anerkennung. Aber dieser Brief war eine Anerkennung von kundiger Seite. Niemand würde das Manuskript einer Anfängerin drucken, wenn es nicht gewisse Qualitäten hätte, tröstete Gaby sich selbst. Sie hatte gerade ein Drehbuch für einen Wettbewerb im Fernsehen geschrieben. Heimlich, sie wollte nicht, daß Hubert seinen Kommentar dazu gab. Ein Fernsehspiel über ältere Leute. Wie herablassend sie behandelt würden, wie sie nicht mehr mitzählten. Nicht tierisch ernst hatte sie ihre Geschichte verfaßt, sondern mit einer gehörigen Portion Humor darin. Und sie bewarb sich als Korrespondentin einer Zeitung. Schickte einen Probeartikel ein. Schon zwei Tage später bekam sie einen Anruf. “Sie können bei uns anfangen. Als Freie, versteht sich.” Versteht sich, dachte Gaby und ballte ihre Faust. Ich werde es schaffen. Was genau, wußte sie noch nicht.
    Gaby konzentrierte sich auf den Rubinring mit den kleinen Diamantsplittern darum herum, den sie vor vielen Jahren von Robbie bekommen hatte. Sie hielt die Hand hoch, und ihre Augen saugten sich an dem roten Stein fest, bis er flimmerte, zerfloß. Langsam wurden ihre Lider schwer, und sie lehnte sich zurück. Ganz behutsam ging sie die Stufen hinunter in ihre Jugend. Dann entspannte sie sich, ließ das wohlige Glücksgefühl von Sonnengelb durch ihren Körper rieseln. Jeden Tag versetzte sie sich jetzt auf Jaaps Geheiß in Selbsthypnose. “Du mußt lernen, dich zu entspannen. Du bist wie ein Bogen, dessen Sehne aufs äußerste gespannt ist. Wenn du so weitermachst — eines Tages reißt die Sehne.” Heute wollte sie mehr, als sich nur während der Hypnose zu entspannen. Sie wollte mit Mutti reden.
    Sie ging zurück. Bei dem jungen Mädchen Gaby von noch nicht achtzehn Jahren blieb sie stehen. Sie war gerade aus dem Krankenhaus gekommen. Ein Auge war noch immer grünblau verfärbt, ihre Rippen schmerzten. Aber die Risse am Ohr waren verheilt, die Fäden über ihren Lippen gezogen. “Ich gehe jetzt”, hatte sie zu Mutti gesagt, den kleinen Koffer mit ihren nötigsten Sachen in der Hand. Mutti hatte den Kopf abgewandt, sie nicht angesehen. “Nie werde ich dir das verzeihen”, hatte sie geschluchzt. “Die Schande! Was sollen die Nachbarn denken! Tot bist du für mich. Tot, tot, tot!”
    Damals war Gaby gegangen. Eiskalt hatte sie sich gefühlt, daß sie Mutti so weinend zurückgelassen hatte. Schuldig an ihrem Unglück. Sie war gegangen, weil die Angst vor Pappi größer war. Und weil Dr. Rehbein Mutti die Volljährigkeitserklärung abgezwungen hatte. Weil sich zum erstenmal jemand schützend vor sie gestellt hatte.
    Die Frau Gaby fühlte wieder die gleiche Einsamkeit und vollkommene Hilflosigkeit, als sie Mutti so weinend am Tisch sitzen sah. Aber jetzt ging sie zu ihr. Sie stellte den Koffer ab und setzte sich zu ihr an den Tisch. “Sieh mich an”, sagte sie und ihre Stimme war weich und fest zugleich. “Du mußt mich ansehen, Mutti.” Etwas in der Stimme ließ Mutti einhalten mit Schluchzen und ihr Kind ansehen. Sie sah ein mageres Mädchen mit umschatteten

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