Zuckerpüppchen - Was danach geschah
war wahr geworden. Sie hatte noch einen Sohn bekommen. Auch in dem Traum hatte sie versucht, mit Mutti zu reden.
“Geh zurück in deine Kindheit”, sagte Jaap zu ihr. “Du kannst es jetzt allein. Wir haben es oft genug zusammen getan. Geh zurück und erinnere dich. Und dann rede mit ihr. Als die Erwachsene, die du jetzt bist. Sage ihr, wie du dich als Kind gefühlt hast. Was du für Angst gehabt hast. Wie einsam du warst.”
“Ihre Texte gefallen mir besonders gut”, stand in dem Brief des unbekannten Studienleiters, schwarz auf weiß. “Sie schreiben besonders klar und einfach. Vergessen Sie aber nie, Ihrem Text gegenüber besonders kritisch zu sein. Kürzen Sie, streichen Sie, straffen Sie.” Ein Lob von berufener Seite. Sie hatte es bitter nötig, um ihr Manuskript zu Ende zu bringen.
“Schreibst du noch immer an deinem Buch?” erkundigte Hubert sich, wenn sie abends nach der Tagesschau in ihr Arbeitszimmer ging. Das Wort ‘Buch’ klang, als handele es sich hier um eine unbekannte Krankheit, ein gefährliches Virus. “Ja”, sagte sie und wünschte, sie hätte ihm nichts gesagt. Inzwischen arbeitete sie ihre Lektionen mit einer verbissenen Gewissenhaftigkeit durch, als könne sie dadurch schneller hinter die Geheimnisse der Schreibkunst kommen. Sie verschlang Bücher und fragte sich: Wie beschreiben anerkannte Schriftsteller eine Stimmung, wie finden sie einen Übergang, wie einen Zeitwechsel? Sie wußte sowenig, folgte nur ihrem Gefühl. Doch sie ahnte, daß das auf die Dauer nicht ausreichen würde.
“Es wird sehr schwierig sein, einen Herausgeber zu finden”, hatte Hubert sie gewarnt.
Gaby erinnerte sich an Heike Remy, eine frühere Mitschülerin. Auf dem Klassentreffen hatte sie erzählt, daß sie als Lektorin für einen Musikverlag arbeite. Vielleicht kannte sie jemanden, der ihr weiterhelfen konnte. Sie rief sie an und erzählte ihr von ihrem Buch — das Wort fand sie dritten gegenüber viel zu protzig, aber irgendeinen Namen mußte das Kind ja haben — und ob sie wüßte, an wen sie sich wenden könne. “Ein Buch über Probleme, einfach geschrieben”, Heike überlegte und schlug ihr dann einen Kinderbuchverlag vor. Sie gab ihr die Anschrift durch und wünschte ihr viel Glück. Und bevor alle Zweifel die Oberhand gewinnen konnten, schrieb Gaby ein paar erklärende Zeilen zu ihrer Geschichte und schickte das ganze an den Verlag. Und sie schrieb weiter, schrieb und schrieb. Vieles, was sie sah, fühlte und erlebte, versuchte sie in Worte zu kleiden, aufs Papier zu bringen: Geschichten, kleine Erlebnisse, Vergangenes. Über den Sexclub schrieb sie nichts. Über Hubert auch nicht. Und die andere Tür zu ihrer Kindheit, die ließ sie auch zu. Sie fürchtete, daß sie eines Tages darüber schreiben mußte, aber sie hatte Angst davor. Unsagbare Angst. Sie fürchtete, damit endgültig ins Nichts zu stürzen. Sie hatte Jaap von ihrem Manuskript über deutsche Kinder in den Niederlanden erzählt. Und daß sie ein Fernstudium begonnen hatte. “Endlich”, sagte er, “endlich beginnst du etwas zu tun, das für dich ist.”
Und nach einer besonders angreifenden Hypnosesitzung — sie hatte die Angst gespürt, als stünde Pappi persönlich neben ihr — hatte Jaap gesagt: “Warum schreibst du nicht ein Buch über deine Jugend?” — “Nie”, hatte Gaby gerufen. “Nie!” Und leiser hinzugefügt. “Dazu habe ich die Kraft nicht.”
Schon nach zwei Monaten schickte der Lektor des Verlages ihren Erstling zurück. Sie hatte das berühmte Glück gehabt, die Nadel im Heuhaufen zu finden. Er schrieb, ihre Geschichte hätte ihm gut gefallen. Sie wäre zu veröffentlichen. Vielleicht zwanzig Seiten länger, die Sätze noch etwas einfacher, kürzer, da man eine neue Serie plane: “Leichter lesen, Lieber lesen.” Sie geriet in eine Art Rausch. Alle anderen Probleme um sie herum fielen für vierzehn Tage weg. Man war bereit, ihr Manuskript zu veröffentlichen! Was waren schon zwanzig Seiten! Innerhalb von zwei Wochen hatte sie ihr Buch um drei Kapitel erweitert und alles noch einmal durchgearbeitet, klare Sätze, alle Schnörkel glattgestrichen.
Hubert murrte. “Ich hatte dir zu Anfang gesagt, daß die Familie nicht darunter leiden darf.” — “Sie leidet nicht”, sagte Gaby. “Ich koche, backe, wasche. Abends, wenn alles getan ist, wenn du in deinem Zimmer sitzt, schreibe ich.” — “Wenn du meinst”, sagte er.
Als sie ihr erweitertes Manuskript zur Post brachte, fragte Alex sie:
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