Zuckersueßes Chaos
zurück und ging das Textil-Handbuch durch.
Kapitel 8
Die erste Woche verging ziemlich schnell, was daran lag, dass ich von einem Termin zum nächsten hetzte. Darunter fiel das leidige Thema des Ummeldens, der Jobsuche und dann mussten noch etliche Kisten ausgepackt und mein Mobiliar aufgebaut werden, wobei Vicky und ich uns an Letzterem erst gar nicht versuchten. Was das Aufbauen von Möbeln betraf, hatten wir beide nämlich linke Hände, doch zum Glück kannte Vicky genug Leute, die uns beim Aufbauen halfen. Dann nahm ich mir noch einen ganzen Tag Zeit, um das großzügige Unigelände zu erkunden, wobei Vicky die Reiseführerin spielte.
Doch irgendwie hatte sie ihre Aufgabe missverstanden, denn anstatt mir unterrichtsrelevante Räume zu zeigen, führte sie mich irgendwelche Geheimgänge entlang, welche in diverse Chemieräume, Sporthallen und weiß sonst was für verbotene Zonen mündeten. Jason war seit gestern wieder in der Stadt, hatte das Thema aber noch nicht angesprochen und sich bisher weder bei Vicky noch in der Uni blicken lassen. Er hatte es also wirklich vergessen. Ich konnte ihm seine Frechheit allerdings nicht so leicht verzeihen, weder, dass er in meinem Zimmer war noch dass er mich einen
Niemand
genannt hatte. Man sollte meinen, ein Genie pflegt bessere Umgangsformen, andererseits sagte man auch, dass die Schlauen nur am Lernen waren und kaum sozialen Kontakt pflegten. Wenn ich mir Jason aber so ansah, schien er viel sozialen Kontakt zu haben – vor allem weiblichen.
Schluss jetzt damit. Ich werde mich nicht länger über Jason und seine Gemeinheiten ärgern! Eine gute Sache hatte die Rangelei mit ihm auf meinem Zimmer allerdings gebracht – sie hatte mich dazu ermutigt, wieder mehr Sport zu treiben, damit ich mich künftig besser wehren konnte. Und was wäre da besser, als wieder mit dem Boxen anzufangen? Ich muss zugeben, dass ich mich in den letzten Jahren sehr hab gehen lassen, was das Thema betraf – wobei sich der Bewegungsmangel weniger auf meine Figur als auf meine Ausdauer ausgewirkt hatte. Im Alter von zwölf Jahren hatte ich nämlich Boxen gelernt und dieses Hobby ganze drei Jahre lang ausgeführt.
Darauf gekommen war ich, weil meine Eltern leidenschaftliche Boxfans waren, ich aber zu jung war, um mich abends mit ihnen vor den Fernseher zu setzen - und das zu Recht. Wer wollte seine zwölfjährige Tochter schon sehen lassen, wie man sich die Zähne ausschlug?
Wie es bei Kindern aber nun mal war, hatte mich genau dieses Verbot erst neugierig gemacht und so hatte ich mich jedes Mal – wir hatten eine große Couch gehabt, hinter der man sich wunderbar verstecken konnte – ins Wohnzimmer geschlichen und heimlich mitgeschaut. Leider hatte mich unsere damalige Katze Lissi – sie ruhe in Frieden – irgendwann neben mich gesetzt und so lange miaut, bis mein Vater aufgestanden war und nachgeschaut hatte, weshalb sie sich so aufregte. Tja, von da an waren meine Fernsehabende vorbei gewesen. Und weil ich Boxen nicht mehr gucken durfte, hatte ich mich kurzerhand dazu entschlossen, es selbst zu tun.
Anfangs waren meine Eltern nicht so sonderlich begeistert gewesen - wer schickt seine zwölfjährige Tochter schon gerne in den Ring, damit sie verprügelt wird - doch als ich in die Pubertät kam und sich die Jungs für mich zu interessieren begannen, freundete sich mein Vater ganz schnell mit meinem Hobby an. In der Oberschule hatte ich allerdings immer weniger Zeit fürs Boxen gefunden und war schließlich in die unendliche Welt der Bücher abgedriftet - aus der ich nie wieder richtig herausgefunden hatte. Ich liebte es, durch Bibliotheken zu schlendern, den charakteristischen Geruch von altem benutzen Papier, das Gefühl zerfledderter Buchumschläge in meinen Händen und nicht zuletzt die Literatur selbst. Dabei war es vollkommen egal, was ich las, ich fühlte mich in jedem Genre zu Hause. Hauptsache, ich wurde für einige Stunden aus der ernüchternden Wirklichkeit gerissen. Nun war es allerdings Zeit, mal wieder etwas Bewegung in mein Leben zu bringen - man wurde ja schließlich nicht jünger.
An meine jugendlichen Erfolge würde ich wohl nicht mehr anknüpfen, dazu war ich einfach schon zu lange raus, aber ein, zwei gute Schläge hatte ich durchaus noch auf dem Kasten. Jetzt traf es sich ganz gut, dass mir Vicky die Sporthalle und den kleinen Fitnessraum zeigte, so konnte ich heute gleich damit beginnen. Ich mochte es, morgens zu trainieren, wenn die halbe Welt noch schlief, genauso
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