Zügel der Leidenschaft
»Er sagte, er müsse einige Geschäfte regeln.«
»Ich bin nicht sicher«, erwiderte Angela und fragte sich, was sie May wohl sagen könnte, falls er nicht zurückkam. Sie fragte sich auch, ob die Verzweiflung, die ihr Herz durchdrungen hatte, sich wohl in tausend Jahren auflösen würde.
Kit hatte aus London einen Brief an Fitz geschrieben, in dem er sein Fortgehen erklärte:
Deine Mutter will eine Scheidung nicht in Betracht ziehen, und ich kann sie nicht umstimmen. Sie sieht zahlreiche unlösbare Probleme mit der Gesellschaft voraus. Ich betrachte diese Probleme nicht als unüberwindlich, aber sie hat ihr ganzes Leben mit diesen Menschen verbracht – und ich nicht. Du verstehst sie vielleicht besser als ich.
Falls ich dir jemals in irgend etwas helfen kann, bitte zögere nicht, mich es wissen zu lassen – vielleicht hast du ja eines Tages den Drang, China zu besuchen, und dann gibt es auf der Desirée immer Platz für einen Passagier. Ich lege dir Chambers' Adresse bei. Er weiß immer, wo ich zu finden bin. Behalte die Ponys. Du wirst bestimmt ein guter Polospieler.
In Zuneigung
Kit.
20
Angela beschäftigte sich in den darauffolgenden Tagen auf ihrem Anwesen: Sie stand sehr früh auf und arbeitete bis spät in die Nacht, um den Schmerz mit ständiger Aktivität zu betäuben. Sie begann mit der Einstellung von Lehrern für ihr Kolleg und entwickelte mit ihnen den Lehrplan, wobei sie ihre Pachtbauern ebenfalls zu Rate zog. Sie hatten eine Konferenz nach der anderen; und wenn sie mitten in der Nacht immer noch nicht schlafen konnte, schrieb sie die Protokolle und bereitete das nächste Treffen vor. Fitz kam kurz nach Hause und tröstete sie mit seiner Gegenwart, aber sie wußte, daß er Kit fast ebensosehr vermißte wie sie. May fragte bald nicht mehr ein dutzendmal pro Stunde nach ihm – nur noch ein dutzendmal pro Tag. Am Ende der ersten zwei Wochen nach Kits überstürztem Fortgang hatte sich Angelas Leben zu einer Routine entwickelt, die sie bewältigen konnte, denn jede Stunde des Tages war mit irgendeiner Tätigkeit ausgefüllt. Und wenn sie nachts nicht schlafen konnte, las sie die Berichte ihres Gutsverwalters – das war auch eine Art Schlafmittel.
Gegen Ende des Monats fühlte sie sich stark genug, nach London zu fahren. Ihre Bankiers brauchten die neuesten Zahlen, wieviel Geld sie in ihr Kolleg investieren wollte. In letzter Zeit waren ihre Briefe immer drängender und hartnäckiger geworden.
Kit bewältigte den Verlust ebenfalls mit Aktivität. Er hielt sich immer noch in London auf, weil er auf die Verträge für ein paar Immobilienkäufe wartete; er wartete aber auch auf die Fertigstellung der Desirée durch Henry Watson. Er hatte sich entschieden, sich einen neuen, stärkeren Motor zu leisten, und ein paar Teile dafür waren noch nicht eingetroffen. Während er seine Tage mit Geschäftsangelegenheiten ausfüllte, wie es üblich für ihn war, verbrachte er die Nächte in endlosen Ausschweifungen in den vornehmsten Londoner Bordells.
Er trank mehr als gewöhnlich, und bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er an einem gesellschaftlichen Anlaß teilnahm und von Damen angesprochen wurde, die vielleicht eine alte Liebesbeziehung wieder aufwärmen wollten, sagte er so höflich, als diskutiere er das Wetter: »Es tut mir leid. Ich habe meiner Mutter versprochen, mich sexueller Aktivitäten zu enthalten.«
Das tat er natürlich nicht, aber er wollte einfach mit keiner Frau sprechen; er wollte sie vögeln, und die Hurenhäuser boten ihm dazu die Gelegenheit. Er begann den Abend daher in einem der Clubs, trank und spielte Karten, bis er so hinüber und voll Lust nach einer Frau war, daß er sich in eines der zahlreichen luxuriösen Freudenhäuser begab und sich eine oder mehrere Gefährtinnen für die Nacht suchte.
Er ging so großzügig mit seinem Geld und seinen Talenten im Bett um, daß er bei den Madams und Mädchen gleichermaßen beliebt war. Gegen Ende des Monats war er mit fast jeder Kurtisane, die es wert war, auf Du und Du.
Saskia hatte die Stadt noch nicht verlassen, als er voller Wut und Enttäuschung aus Easton zurückkam, und so blieb sie bei ihm in der Wohnung. Aber er teilte ihr Bett nicht und meinte spöttisch eines Morgens, als er mit dem ersten Licht immer noch sturzbetrunken nach Hause kam, daß er jegliche Vorliebe für Frauen verloren habe – außer für die in den plüschigen Separees.
»Mit dir zu vögeln wäre, wie es mit meiner Schwester zu treiben«, fügte er sanft
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