Zügel der Leidenschaft
sie umzubringen – fast hatte er es schon geschafft.
Diese schreckliche Vorstellung versetzte sie in weinerliche Verzweiflung, doch dieser Zustand dauerte nicht lange, denn der schwelende Haß auf ihren Mann bewirkte, daß sie bereit war, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen, bis sie es nicht mehr konnte.
Sie hatte nicht die geringste Absicht, ihr Leben einem feigen Tyrannen wie Brook ohne Gegenwehr auszuliefern.
Diese Erkenntnis brachte sie in dem unbekannten Haus zum Lächeln. Vielleicht war der Zeitpunkt aufzugeben noch nicht gekommen, überlegte sie. Ihr Großvater zum Beispiel würde es nicht billigen, wenn sie sein Vermögen kampflos abtrat. Und ganz gewiß wollte sie nicht, daß Gwendolyn und Beatrice auch nur einen Penny davon sahen. Dieser Gedanke löste ein breiteres Lächeln bei ihr aus, und sie probierte nun vorsichtig, ob sie die Beine bewegen konnte. Der Schmerz war ganz gewiß auszuhalten, fand sie.
Wenn sie Brook etwas entgegensetzen wollte, dann mußte sie jetzt aufstehen. Doch wenn sie den linken Arm nur ein kleines Stück anhob, mußte sie vor Schmerz aufstöhnen. Sie würde aber den linken Arm nicht benutzen, entschied sie, in Erinnerung an die unzähligen Male, wenn sie beim Springen über gefährliche Hecken vom Pferd gefallen war. Diese Stürze hatte sie überlebt – dazu noch zahlreiche andere Verletzungen, die sie sich bei der Jagd zugezogen hatte. Auch das hier würde sie überleben, aber in ihrer gegenwärtigen, unversöhnlichen Stimmung war sie nicht so sicher, ob für Brook das gleiche galt. Für diese Schläge wollte sie sein Blut sehen.
Brook Greville schritt derweil im Salon nervös auf und ab und blickte immer wieder erregt zur Uhr. Dutzende male trat er zum Fenster oder zur Eingangstür, um zu sehen, ob Haversham und sein Bursche noch nicht wieder zurück wären. Er hatte innerhalb eines einziges Tages am Spieltisch die siebzigtausend verloren, die Angela ihm gegeben hatte, und seine Gläubiger verlangten lauthals ihre Bezahlung. Sie drohten seinen Treuhändern mit Vollstreckung. Der Hauptteil seines Besitzes gehörte der Familie, aber wenn seine Gläubiger die Vollstreckung beantragten, würde er mehrere kleine Güter, sein Barvermögen, Möbel, Gemälde, Erbstücke, den Reitstall und das Wappen verlieren. Während seine Frau weiter in Luxus lebte! Das würde er nicht zulassen, tobte er innerlich, eine solche Ungerechtigkeit! Wo zum Teufel blieb Haversham mit den Papieren, die sie unterzeichnen sollte?
Als der Wächter erschien, um Angela hinunterzuführen, war sie gut vorbereitet. Sie hatte ihre hellen Locken hoch auf dem Kopf aufgesteckt, damit die üblen Verletzungen am Hals gut sichtbar waren. Die Perlen, die Kit ihr geschenkt hatte, hatten irgendwie die Attacke überlebt, und sie trug die beiden Stränge im Ausschnitt ihres grünen Wollkleides. Sie schenkten ihr Mut und Hoffnung, so als sei Kit im Geiste bei ihr. Als sie ein paar Augenblicke später in den Salon trat, war es die gleiche Angela Lawton, die vor Jahren vor die Grevilles getreten war und die Reihen von Anwälten und Treuhändern mit einer Entschiedenheit und Selbstsicherheit beeindruckt hatte, die für eine Siebzehnjährige ganz außerordentlich war.
»Ich bin gegen meinen Willen hier«, sagte sie mit klarer, lauter Stimme. »Falls Sie noch irgendwelche Zweifel daran hegen sollten: Mein Mann ist wahnsinnig.«
»Das reicht, Angela«, knurrte Brook und trat drohend auf sie zu.
»Willst du mich wieder würgen, Brook?« entgegnete sie kühl. »Und wenn ich sterbe, ehe ich deine Papiere unterzeichnet habe?«
Alfred Haversham räusperte sich nervös. »Das ist eine höchst unzulässige Situation«, stammelte er mit Blick auf die dunkellila Male an Angelas Hals. »Mir ist nicht mitgeteilt worden, daß die Gräfin nicht einverstanden ist. Ich möchte mich lieber nicht an so etwas beteiligen ...«
»Halten Sie die verdammte Klappe, Haversham!« bellte Brook ihn an. »Sie hat niemand um Ihre Meinung gebeten.« Er bedeutete einem seiner Helfershelfer, neben Haversham zu treten.
»Wenn das hier unter Zwang stattfindet, Brook«, fuhr Angela fort, »dann hält es vor Gericht keine Minute stand.«
»Überlaß diese Sorgen doch mir«, fuhr ihr Mann sie an. »Die Papiere liegen auf dem Tisch«, sagte er, auf einen kleinen Schreibsekretär an der Wand deutend. »Und du unterschreibst sie jetzt.«
»Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, Mr. Haversham«, sagte Angela, während sie an ihm vorbei zum Schreibsekretär ging, »daß
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