Zügel der Leidenschaft
hämmernde Rhythmus der galoppierenden Hufe auf der Straße hallte ihm in den Ohren, ein Echo seiner eigenen Eile.
In jener kalten, dunklen Winternacht, belastet von schrecklicher Angst, betete er zum ersten Mal in seinem Leben. Er sprach in den eisigen Wind hinein, als würden die heidnischen Geister jener Nacht als Boten mächtigerer Götter dienen. Es war ein verzweifelter Hilferuf von einem verzweifelten Mann. Er durfte nicht die Frau verlieren, die er liebte: Sie war seine Sonne, sein Mond, sein Herz und seine Seele – sein Glück.
Nachdem er alle konventionellen Götter um Hilfe angefleht hatte, bat er schließlich Devaraja, ihm Hoffnung zu schenken. Vielleicht kannte Kit diesen Buddha auf Erden am besten, denn er hatte ihm schon einmal auf Java durch dunkle, qualvolle Zeiten hindurchgeholfen, als er nicht mehr wußte, ob er leben oder sterben würde. »Wenn du deine gnadenreiche Hilfe in dieses kalte, ferne Land bringen kannst, baue ich dir eine Straße zu deinem verlorenen Tempel in Kedu«, versprach er, »damit dein Volk dich dort verehren kann. Bitte hör mich an. Ich muß meine Liebe vor einem Dämonen retten, der sie heimsucht.«
Er hatte keine Ahnung, ob irgend einer der Götter ihn hörte, er war sich nicht ganz sicher, ob andere Mittel als weltliche ihm Frieden bringen konnten. Als er sein Pferd zu schnellerem Tempo anpeitschte, tat er es, weil er es mit oder ohne göttliche Hilfe schaffen wollte. Brook Greville hatte lange genug gelebt.
Aber die quälendste Angst auf diesem langen Ritt war, daß er nichts über Angelas Schicksal wußte – und nichts über das seines ungeborenen Kindes. Jede Minute schien wie eine Stunde, jede Meile wie eine endlose Straße ins Nirgendwo. Sie mußte einfach in Sicherheit sein. Ihr gemeinsames Leben fing doch gerade erst an. Sie hatten über einen Namen für das Kind gesprochen und darüber, wieviele Kinder sie sich wünschten. Sie hatten Pläne für Weihnachten geschmiedet – ihr erstes von vielen Festen, hatten sie glücklich gedacht. Er liebte sie mehr, als er je für möglich gehalten hätte, daß man einen anderen Menschen so lieben könnte.
Es verschwamm einen Moment vor seinen Augen, ehe er die Tränen fortzwinkern konnte. Verdammt, man bräuchte eine Bahnlinie in dieses gottverlassene Dorf. Mit einer Eisenbahn hätte man Angela drei Stunden Angst ersparen können.
Während Kit auf Wickem zueilte, wurde Alfred Haversham von einem stämmigen, ungeschlachten Burschen aus dem Bett geholt. Der Mann war an dem Diener vorbeigestürmt, der auf das laute Klopfen hin die Tür geöffnet hatte, war nach oben getrampelt und hatte den Anwalt und seine Frau fast zu Tode erschreckt.
»Der Graf will Sie in Wickem House sehen. Und zwar sofort!« hatte der riesige Bursche geknurrt und den Alten aus dem Bett gezerrt, während seine Frau sich entsetzt hinter den Bettvorhängen verkrochen hatte. Dann war der Schurke mit dem voller Hast angekleideten Anwalt verschwunden. Mrs. Haversham hatte ihren Diener gerufen und ihn zur Dorfpolizei geschickt. Die Adligen hatten vielleicht ihren Platz in der Welt, dachte sie wütend, während sie sich mit zitternden Fingern ankleidete, aber Graf de Grae hatte sicherlich die Grenzen überschritten, wenn er dachte, er könne ihren Mann mitten in der Nacht wie einen gemeinen Vagabunden herbeizitieren. Sie war die Tochter eines wohlhabenden Gutsherrn und fühlte sich durch eine solche Behandlung stark beleidigt. Es wurde Zeit, daß Aristokraten wie de Grae, ob Graf oder nicht, begriffen, daß sie und ihr Mann in dem kleinen Dorf ebenso einflußreich waren wie er.
Angela erlangte auf einem Bett in einem ihr fremden Schlafzimmer das Bewußtsein wieder. Alles drehte sich um sie her, doch während der Schwindel allmählich nachließ, klärte ihr Verstand sich nicht so schnell wieder. Sie fand es unmöglich, ihre Situation vernünftig zu bedenken oder einen Plan zu fassen, so wie sie es gewohnt war. Daher schloß sie die Augen wieder in der Hoffnung, eine kurze Ruhepause würde helfen. Ihr tat der ganze Körper weh. Den Kopf konnte sie nur unter heftigsten Schmerzen bewegen, daher betrachtete sie, nachdem sie die Augen wieder geöffnet hatte, den Raum, indem sie ständig die Lage wechselte. Auch ohne ihr sonstige Klarheit begriff sie, daß sie in großer Gefahr schwebte. Ihr Mann würde sie nicht am Leben lassen, wenn die Papiere unterzeichnet waren, denn er konnte sicher sein, daß sie dies anschließend anfechten würde.
Er hatte die Absicht,
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