Zügel der Leidenschaft
»Ich rechne mit deiner Hilfe, aber nicht dabei, mein Liebster.«
»Würde mein Erscheinen beim Verabschieden der Gäste in deinen Kreisen als gesellschaftlicher Skandal betrachtet?« neckte er sie.
»Ich habe viel eher das Gefühl, daß Priscilla dich in ihre Kutsche reißen oder mit dir durchbrennen würde.«
»Das ist ziemlich unwahrscheinlich, solange ich lebe.«
»Hättest du sie wirklich geheiratet?«
Er zuckte die Achseln. »Das schien mir damals eine vernünftige Option.«
»Wie kaltblütig das klingt.«
»Erzähl du mir nichts über Pflichtehen, mon ange «, sagte er sanft, »sonst fangen wir noch an, unsere jeweilige Kaltblütigkeit zu vergleichen.«
»Entschuldige«, sagte sie sofort. »Du hast ja recht – wie immer.«
Ihre Augen funkelten schelmisch. »Ich werde es heute nachmittag wieder gutmachen. Reicht das als Entschuldigung?«
»Wiedergutmachung in jeglicher Form von einer Dame deines, sagen wir, Temperaments, reizt wohl jeden.« Sein schiefes Lächeln paßte gut zu seinem zerwühlten Haar.
»Ich werde bestimmt heute nachmittag hier sein, um meine Belohnung entgegenzunehmen.«
»Wir haben uns gestern abend nicht geliebt.«
»Du bist eingeschlafen.«
»Du hättest mich wecken sollen.«
»Wir haben doch so viel Zeit.«
»Was für eine wunderbare Vorstellung«, murmelte sie freudig.
»Du gehst jetzt besser.«
»Küß mich erst.«
»Geh jetzt«, erklärte er bestimmt und hob sie von seinem Schoß. »Sonst schaffst du es nicht, ehe deine Gäste abfahren.« Er erhob sich und nahm zur Sicherheit einen Schritt Abstand. Da er nicht gewohnt war, seine fleischlichen Triebe zu bezähmen, war er sich nicht sicher, was ein einfacher Kuß bei ihm anrichten würde. Sie war so warm und schläfrig und anschmiegsam – nicht gerade die richtige Kombination, um seine Glut abzukühlen.
»Wirst du mir keinen Kuß geben?«
»Nein. Für mich ist alles zu neu ... diese selbstlose Tugend ... besser nicht.«
»Muß ich bis heute nachmittag warten?«
»Ich meine schon.«
»Wirst du an mich denken?« flirtete sie.
Er sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Mach, daß du hier rauskommst«, knurrte er – mit ungekannter Selbstlosigkeit.
Sie grinste, hauchte ihm einen Kuß zu und lief aus dem Zimmer.
Und er nahm ein kaltes Bad, das aber auch nicht viel nützte.
17
Der Sonntagnachmittag begann als glückliche Idylle der blinden Hoffnung, des strahlenden Glücks und grenzenloser Liebe. Angela kam um ein Uhr zu ihm, und sie, May und Peter Rabbit gingen zusammen zurück nach Easton. Das Personal hatte sich auf der Auffahrt versammelt, wie um einen heimkehrenden Hausherrn zu begrüßen: Mit Lächeln und Höflichkeit, wie Angela es sich wohl auserbeten hatte. Sie spazierten durch ihren Park, und sie zeigte ihm mit Stolz auf das Erreichte ihr gutgeleitetes Anwesen. Er besichtigte das neue Landwirtschaftskolleg – mehrere Gebäude, die kurz vor der Vollendung standen –, die Grund- und die weiterführende Schule des Dorfes, die sie unterstützte, und die Nähstube, die sie für junge Frauen eingerichtet hatte, die zu schwach waren, um mit der Familie das Land zu bestellen. Die konservative Presse hatte sie dafür getadelt, sie würde ihre Pächter zu sehr verwöhnen.
Er lernte die Pachtbauern und deren Frauen und Kinder kennen, die alle die kleine May nach Herzenslust hätschelten.
May hatte beschlossen, daß Kit sie auf ihrem Ausflug zu tragen hätte, und sie schmiegte sich mit genau der gleichen Natürlichkeit in seine Arme wie ihre Mutter. Sie gingen bei diesem Rundgang über das Anwesen an diesem Nachmittag meilenweit und kehrten nur auf eine Tasse Tee im Haus des Verwalters ein, wo die Männer sich so ausgiebig über das Dreschen unterhielten, als seien sie schon seit Jahren miteinander befreundet.
»Gefällt es dir?« fragte Angela auf dem Rückweg zum Haus. May war in Kits Armen eingeschlafen.
»Es ist ein Modellgut. Ich habe noch kein besseres gesehen, aber das weißt du doch sicher, nicht wahr?« erwiderte er lächelnd. »Eine Gräfin mit einem Gut. Ich bin beeindruckt.«
»Den Rest zeige ich dir morgen. Dann müssen wir aber die Pferde nehmen.«
»Ich würde gern alles sehen. Ich habe ein paar Pflanzungen auf Java. Die werde ich dir eines Tages zeigen.«
Sie berührte statt einer Antwort seinen Arm und lächelte zu ihm hoch. »Es kommt mir vor, als hättest du schon immer hier gelebt.«
»Gewöhn dich dran«, erwiderte er. »Ich habe die Absicht, zu bleiben.«
In der Abgeschiedenheit
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