Zuflucht Im Kloster
Hochzeitsfeier bringt es mit sich, daß viele Zeugen da sind, die glauben, eine Aussage machen zu können – und ist gleichzeitig ein starkes Argument dafür, die Hälfte ihrer Behauptungen in Zweifel zu ziehen.
Hinter den Vertretern der Grafschaft und der Stadt kam der junge Daniel Aurifaber, dem man die Aufregungen dieser ungewöhnlichen Hochzeitsnacht deutlich ansah. Er trug jetzt Alltagskleidung, sah aber nicht weniger entschlossen aus als in der Nacht zuvor. Allerdings machte er kaum den Eindruck eines jungen Mannes, dessen Vater ermordet worden war. Sein Gesichtsausdruck wirkte eher etwas verdutzt und mißmutig.
Cadfael zog sich hinter die anderen Klosterbrüder zurück und nahm zwischen der Abordnung der Bürgerschaft und der Kirchentür Aufstellung, um jeden, der es wagen sollte, den Kopf zu verlieren und den Anweisungen des Abtes zuwiderzuhandeln, den Weg zu versperren. Da der Unteroffizier anwesend war, der sich der Notwendigkeit, mit einem Abt im Bischofsrang auf höfliche Weise zu einem Einverständnis zu kommen, nur zu bewußt war, schien dies nicht allzu wahrscheinlich, aber unter einem Dutzend empörter Männer konnte es immer einen Hitzkopf geben, der sich zu Dummheiten hinreißen ließ. Cadfael warf einen Blick über seine Schulter und sah ein blasses, verängstigtes Gesicht. Liliwin zitterte nicht mehr. Es war nicht zu sagen, ob er dem Schutz der Kirche vertraute oder einfach beschlossen hatte, sich seinem Schicksal zu ergeben.
»Geh hinein, damit dich keiner sieht, mein Junge«, sagte Cadfael über seine Schulter, »und komm erst heraus, wenn man dich ruft. Überlaß alles andere dem Abt.«
Mit gemessener Würde begrüßte Radulfus den Unteroffizier und den Vorsteher der Bürgerschaft.
»Nach der nächtlichen Störung unseres Friedens habe ich Euren Besuch erwartet. Ich weiß, wessen der Mann beschuldigt wird, der in unserer Kirche um Asyl gebeten hat, das wir ihm gemäß den Regeln unseres Ordens gewährt haben. Die Anschuldigungen sind jedoch gegenstandlos, solange sie nicht in angemessener Form durch den Sheriff oder einen seiner Vertreter vorgebracht werden. Daher bitte ich nun den Unteroffizier, den Sachverhalt zu schildern.«
Er hatte nicht die Absicht, dachte Cadfael, der dabeistand und alles beobachtete, die Abordnung in den Kapitelsaal oder die große Halle zu bitten. Es war ein schöner, sonniger Morgen, und die Angelegenheit ließ sich vielleicht schneller hier draußen, im Stehen, erledigen. Und der Unteroffizier, der bereits erkannt hatte, daß es nicht in seiner Macht lag, den Flüchtling der Obhut der Kirche zu entreißen, schien es lediglich darauf abgesehen zu haben, zu einer Einigung zu kommen, damit er freie Hand hatte, die Beweise für eine Anklage anderswo zu sammeln.
»Man hat mir angezeigt«, sagte er schlicht, »daß der Jongleur Liliwin, der gestern nacht bei der Hochzeit im Haus von Meister Walter Aurifaber die Gäste unterhalten sollte, den besagten Walter in seiner Werkstatt, wo er dabei war, gewisse wertvolle Hochzeitsgeschenke in seinen Geldkasten zu legen, niedergeschlagen und den Geldkasten, der Münzen und Goldschmiedearbeiten von großem Wert enthielt, ausgeraubt hat. Dies haben der hier anwesende Sohn des Goldschmieds sowie zehn der Hochzeitsgäste eidlich bestätigt.«
Daniel stellte sich breitbeinig hin, sah den Abt herausfordernd an und nickte. Einige andere Bürger, die hinter ihm standen, murmelten bestätigend und nickten ebenfalls.
»Und habt Ihr Euch davon überzeugt, daß die Anschuldigungen gerechtfertigt sind?« fragte Radulfus kühl.
»Zumindest davon, daß diese Taten verübt worden sind – ganz gleich, wer sie verübt hat?«
»Ich habe die Werkstatt und den Geldkasten untersucht. Bis auf einige große Gegenstände aus Silber, die schwerlich unbemerkt fortzuschaffen wären, ist der Kasten leer. Man hat mir unter Eid erklärt, daß bis zu der besagten Nacht eine große Menge Silbermünzen und kleine, wertvolle Schmuckstücke in ihm aufbewahrt wurden. Diese sind verschwunden. Und was die Gewalttat an Meister Aurifaber betrifft, so habe ich die Blutspuren neben dem Kasten, wo er gefunden wurde, gesehen und mich davon überzeugt, daß er sein Bewußtsein noch immer nicht wiedererlangt hat.«
»Also ist er nicht tot?« fragte Radulfus scharf. »Heute nacht war hier von Mord die Rede.«
»Tot?« Der Unteroffizier, ein aufrechter Mann, zeigte sich über diese Frage verwundert. »Aber nein! Man hat ihn besinnungslos geschlagen, und der Schlag
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