Zuflucht Im Kloster
davon machte, um jeden zu maßregeln, der ihr Mißfallen erregte.
Der einzige, in den sie geradezu vernarrt war, so hieß es, war ihr Enkel – und selbst der hatte es bisher nicht geschafft, sie dazu zu bringen, ihre Geldbörse zu öffnen. Ihr Sohn Walter war nach ihr geraten und ebenso geizig wie sie. Nur war er entweder von seiner Tugendhaftigkeit so überzeugt, daß er keine Zweifel daran hegte, daß er in das Reich der Seligen eingelassen werden würde, oder aber noch nicht so alt, daß er sich über das Jenseits den Kopf zerbrach – jedenfalls waren die Spenden, die er dem Kloster gegeben hatte, bis jetzt immer mehr als bescheiden gewesen. Gewiß hatte er die Hochzeit seines Erben mit dem Aufwand gefeiert, den seine Stellung erforderte, aber jeder Penny, den er dafür ausgegeben hatte, würde in den kommenden Monaten am Haushaltsgeld eingespart werden. Unter denen, die den Goldschmied nicht mochten, kursierte der bittere Witz, seine Frau sei an Unterernährung gestorben, sobald sie ihm einen Sohn geboren hatte und es daher nicht mehr erforderlich gewesen war, sie zu kleiden und zu ernähren.
Cadfael folgte dem wortkargen und niedergeschlagenen Daniel durch den Durchgang zwischen den beiden Werkstätten.
Obwohl der Himmel blaßblau leuchtete, lag der Hof um diese Uhrzeit im Schatten, und die Tür, die in die Wohnhalle führte, stand weit offen. Drinnen umfing sie Zwielicht und der Geruch von Holzfeuer. Zur Rechten war eine Tür, die in die Kammer der Tochter des Hauses führte, hinter der die Vorratskammer lag, für die sie allein die Schlüssel besaß. Einige Schritte weiter begann die Treppe, die kein Geländer besaß und über die man den ersten Stock des Hauses erreichte. Cadfael stieg die breiten Holzstufen hinauf. Er brauchte niemanden, der ihm den Weg zeigte. Die erste Tür in dem schmalen Gang, der an der Seitenwand des Hauses entlangführte, war die zu Julianas Kammer. Daniel war wortlos aus der Halle auf den Hof getreten und zur Werkstatt gegangen. Für einige Tage wenigstens war er jetzt der Goldschmied. Man sagte, er könne kunstvolle Schmuckstücke anfertigen – wenn er gerade Lust hatte oder wenn es seinem Vater gelang, ihn zum Arbeiten zu bewegen.
Als Cadfael auf die Tür zu Julianas Kammer zuging, trat eine Frau heraus. Walters Tochter Susanna war, wie ihr Bruder, groß und hatte dasselbe dichte braune Haar wie er. Sie war jenseits der dreißig und hatte während der letzten fünfzehn Jahre diesen Haushalt geführt. Eine kühle, zurückhaltende Würde, die nicht zu Gewalt und Verbrechen paßte, umgab sie.
Sie hatte die Rolle ihrer Mutter, der sie angeblich ähnelte, übernommen, als Juliana zu kränkeln begann. Sie bewahrte die Schlüssel und wachte über die Vorräte, und sie war es, die mit ihrer Ruhe und Kompetenz die Wände und das Dach dieses Hauses stützte. Sie war ein tüchtiges Mädchen, sagten die Nachbarn. Nur war sie kein junges Mädchen mehr.
Sie lächelte Bruder Cadfael an, aber auch ihr Lächeln war kühl und distanziert. Sie hatte ein blasses, offenes, ovales Gesicht mit weit auseinanderstehenden grauen Augen, die nicht recht zu ihrem rostbraunen, zu Zöpfen geflochtenen und hochgesteckten Haar zu passen schienen. Sie trug ein ordentliches, dunkles, schlichtes Gewand. Ihr einziger Schmuck waren die Schlüssel, die an ihrem Gürtel hingen.
Sie waren alte Bekannte – nicht mehr und nicht weniger.
»Eigentlich besteht kein Grund zur Sorge«, sagte sie rasch.
»Sie hat das Schlimmste schon hinter sich, aber der Anfall hat ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt. Hoffentlich so viel, daß sie einen Rat annimmt. Margery ist bei ihr.«
Margery? Natürlich, die Braut! Eine ungewöhnliche Aufgabe für eine Braut, am Tag nach ihrer Hochzeit die Großmutter ihres Bräutigams pflegen zu müssen. Margery Bele, erinnerte sich Cadfael, die Tochter des Wollhändlers Edred Bele, hatte, da sie das einzige Kind ihres Vaters war, ein hübsches kleines Vermögen zu erwarten und schon jetzt eine sehr ordentliche Mitgift mit in die Ehe gebracht. Genau die richtige Partie für den Stammhalter einer Familie von Geizhälsen. Aber hatten sich denn keine anderen Freier gefunden, so daß sie den erstbesten hatte nehmen müssen? Oder war es ihr eigener Wille gewesen, diesen lockigen, verzogenen, gutaussehenden Burschen zu heiraten, der jetzt zweifellos in der Werkstatt saß und die Verluste überschlug?
»Ich überlasse sie Euch und der Gnade Gottes«, sagte Susanna. »Sie hörte auf niemand
Weitere Kostenlose Bücher