Zuflucht Im Kloster
schönsten, sondern auch einer der trügerischsten und tückischsten Flüsse im ganzen Land.
Es war ein Genuß, den Pfad entlangzugehen, der sich lediglich als ein heller Strich vom saftigen Gras abhob und dem Flußlauf folgte. Cadfael betrachtete die halb trüben, halb klaren Strudel, die es in Ufernähe gab. Diese Strömung war nicht zu unterschätzen. Auf der anderen Seite des stillen und doch so reißenden Flusses erhob sich über einem steilen, mit Weinreben und Obstbäumen bewachsenen Hang die Stadtmauer von Shrewsbury, die weiter flußabwärts auf die Burg stieß, welche den schmalen Zugang zur Stadt bewachte.
Cadfael war am Ende des Obstgartens des Klosters angelangt. Hier begann ein dichtes Gebüsch, das das letzte Weizenfeld des Klosters säumte und die alte, verfallene Mühle am Fluß fast verdeckte. Er schlängelte sich zwischen Bäumen und Büschen hindurch und setzte seinen Weg noch ein kleines Stück fort, bis er an eine flache Bucht kam, in die das Wasser jetzt hinein-und hinausströmte. Selbst wenn der Severn weniger Wasser führte, wurde hier oft etwas angeschwemmt, das durch das dichte Gebüsch zu beiden Seiten der Bucht den Blicken entzogen blieb.
Heute nun stieß Cadfael an dieser Stelle auf etwas gänzlich Unvorhergesehenes: Mit dem Gesicht nach unten und ausgestreckten Armen und Beinen lag ein Leichnam im Wasser. Der Kopf ruhte auf dem Uferkies. Es war ein Mann von untersetzter, kräftiger Statur, gekleidet in einfaches, aber gutes Tuch. Er hatte einen runden Kopf mit graumelierten, braunen Haaren und einer kleinen kahlen Stelle auf dem Hinterkopf. Der schnell dahinfließende Fluß hatte ihn hierher getragen, und seine ausgestreckten Arme wurden von der leisen Strömung träge hin und her bewegt, so daß es schien, als tasteten seine Finger unschlüssig nach dem Kies, der das Ufer bedeckte. Der Mann hatte stämmige Beine, aber die ungestüme Strömung zerrte an seinen Füßen, als wolle sie ihn mitnehmen. Er war eindeutig tot, und doch bewegten sich seine Glieder, als wollten sie beweisen, daß er noch lebte.
Bruder Cadfael schürzte seine Kutte, stieg ins Wasser, packte den Leichnam an der sich hin und her wiegenden Kapuze und am Ledergürtel und hob ihn langsam aus dem Wasser, um die Stellung, in der er angespült worden war, so wenig wie möglich zu verändern und die Spuren an Kleidung, Haar und Schuhen, die der Fluß noch nicht davongespült hatte, nicht zu verwischen. Es war nicht nötig, nach Spuren von Leben zu suchen – der Mann war schon längere Zeit tot.
Dennoch mochte er selbst im Tod noch etwas zu sagen haben.
Cadfael legte den tropfnassen Leichnam in derselben Stellung ins Gras, die er im Wasser gehabt hatte. Wo und wie mochte der Mann in den Fluß gefallen sein?
Was die Frage betraf, um wen es sich handelte, so war es nicht nötig, sich das verschmutzte Gesicht genauer anzusehen.
Cadfael erkannte das rostrote Wams, die stämmige Statur, den runden Kopf mit der kahlen Stelle und dem dichten braunen Haar, das sie umgab. Erst vorgestern hatte er mit diesem Mann gesprochen, und da war er noch recht verschmitzt und gesprächig gewesen und hatte ohne große Boshaftigkeit die Gelegenheit ergriffen, den Klatsch, von dem er wußte, vor Cadfael auszubreiten.
Baldwin Peche konnte nun nicht mehr über die Mißgeschicke lachen, die seinen Mitbürgern zustießen. Er hatte seinen letzten Kampf mit dem Fluß, auf dem er so oft gefischt hatte und der schließlich sein Tod gewesen war, verloren.
Cadfael hob ihn am Gürtel hoch, bemerkte, daß nur wenig Wasser aus seinem Mund floß, und ließ ihn wieder los, wobei er darauf achtete, die Stellung des Leichnams nicht zu verändern. Er war etwas erstaunt darüber, daß nur so wenig Wasser in den Lungen des Toten gewesen war, denn Ertrunkene geben, wenn sie rasch geborgen werden, fast alles Wasser wieder her, das sie geschluckt haben. Der Körper des Toten hatte einen kaum sichtbaren Eindruck auf dem Grund der seichten Bucht hinterlassen, die nur von einer leichten Strömung durchzogen wurde, und dieser Eindruck zeichnete die Umrisse des Leichnams genau so nach, wie er jetzt im Gras lag.
Wie kam es, daß Baldwin Peche hier angespült worden war?
War er betrunken gewesen und nachts in den Fluß gestürzt?
War er beim Angeln über Bord gefallen? War er in einer dunklen Gasse bewußtlos geschlagen, ausgeraubt und anschließend ins Wasser geworfen worden? So etwas geschah gelegentlich selbst in gut bewachten Städten, wenn die Nacht nur
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