Zug um Zug
eine größere Arbeitsteilung und auch eine effizientere Ressourcenzuordnung wünschen, um im Spitzenfeld besser zu werden. Im Übrigen teile ich die These, dass in dem Fall, in dem auf eine technologische Option verzichtet wird und deshalb nach einer Alternative gesucht wird, sich auch neue Technologiefelder erschließen. Ich sage das nicht zuletzt mit Blick auf die Auseinandersetzung um die Nutzung der Kernenergie und die Umweltbelastungen der Industrieproduktion. Eine Antwort darauf war die Entwicklung regenerativer Energien und umweltschonender Technologien, die enorme Möglichkeiten eröffnen, damit weltweit zu punkten und neue Märkte zu erschließen.
Schmidt: Natürlich kommt es für uns Deutsche durchaus auf die Entwicklung neuer Technologien an. Gleichzeitig müssen wir aber wissen: Neue Technologien können auch Risiken enthalten – Beispiel Elektronik und Internet, Beispiel Atomkraftwerke.
Steinbrück: Ich hatte mir eben schon bei Ihren Ausführungen über die Grünen das Stichwort Fukushima notiert. Dass die Grünen von dieser Katastrophe politisch profitieren, ist nicht verwunderlich. Sie sind das Original der Anti-Atomkraft-Bewegung. Was mir aber gegen den Strich geht, ist der Opportunismus der Bundesregierung. Ich nehme der Bundeskanzlerin diese Lernkurve, die sie beschrieben hat, einfach nicht ab. Dazu ging mir das zu schnell, wie sie den Exit aus dem Exit des Exit organisiert hat. Vor einem halben Jahr wurde der Konsens mit der Energiewirtschaft aufgekündigt mit dem Effekt, dass es sehr viel längere Laufzeiten gab, Kernkraftwerke hätten demnach bis weit in die dreißiger Jahre am Netz sein können. Was Frau Merkel Ende 2010 für sicher und verantwortbar in Deutschland gehalten hat – und von Vertretern der Bundesregierung als Jahrhundertentscheidung gefeiert wurde –, ist trotz der erschütternden Ereignisse von Fukushima nicht widerlegt, weil sich ja an der Lage in Deutschland und an den deutschen Kernkraftwerken rein gar nichts geändert hat. Es gibt keine einzige zusätzliche Erkenntnis, keine einzige Information, die gegenüber der – zweifellos falschen – Entscheidung der Bundesregierung von Ende 2010, die Laufzeit der deutschen Kernkraftwerke zu verlängern, einen neuen Sachstand zu deren Sicherheit aufgeworfen hätte.
Vielmehr hat sich die Bundesregierung aus politisch opportunen Motiven zu einer Volte entschieden. Diese Volte vollzog sie allerdings in einer Hast, die keine Zeit für die industriepolitisch und wirtschaftsstrukturell notwendigen Abwägungen ließ. Nicht auszuschließen ist, dass die Kanzlerin hier eine Chance erkannte, konkurrierenden Parteien ein Kernthema wegzunehmen. Das ist ihr taktisches Geschick. Sie nahm damit den Grünen ein Kernthema weg, nämlich den Ausstieg aus der Kernenergie.
Schmidt: Ich habe auch den Eindruck, dass ihre durch Fukushima ausgelöste Änderung wesentlich taktischen Motiven entspringt. Aber die Auswirkungen sind ganz langfristig; sie schließen Risiken und Chancen ein.
Steinbrück: Das macht es auch für die SPD nicht leichter. Immerhin darf die SPD mit den Grünen gemeinsam das Copyright in Anspruch nehmen dafür, im Konsens mit der Energiewirtschaft 2001/2002 einen Kernenergieausstieg durchgesetzt zu haben, der in meinen Augen sehr viel vernünftiger war als das, was wir heute erleben. Die Wirtschaft, die über die Laufzeitverlängerungen der Kernkraftwerke Ende 2010 frohlockte, sieht sich nun gelackmeiert.
Schmidt: Stellen Sie sich mal vor, dieser abrupte Ausstieg aus der atomaren Energieerzeugung würde für ganz Europa gelten, dann würden wir sehr schnell zu einer Energieknappheit in Europa kommen und zu einer Bewirtschaftung der Energie durch die einzelnen Staaten – Bezugsscheine auf Kilowattstunden! Als wir in Deutschland in den fünfziger Jahren angefangen haben, nukleare Kraftwerke zu denken und zu planen, und in den Sechzigern anfingen, sie zu bauen, hat eine Regierung nach der anderen das fortgesetzt, immer in dem Bewusstsein, dass fast alle damals bekannten Methoden der Energieerzeugung Risiken in sich bargen.
Das Risiko der Verfügbarkeit von Öl und Gas ist handgreiflich geworden mit den Ölkrisen der siebziger Jahre; gegenwärtig erleben wir eine weitere explosionsartige Steigerung der Weltmarktpreise für Öl. Die Kohle hatte das Risiko, dass sie zu teuer war, soweit sie aus Deutschland kam, und dass bei der Verbrennung Kohlendioxid und andere Gase in die Atmosphäre geblasen werden; sie
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