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Zug um Zug

Zug um Zug

Titel: Zug um Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt / Peer Steinbrück
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Integration fortgesetzt wird. Alles andere wäre eine Tragödie für die Europäer, insbesondere für uns Deutsche.
    Steinbrück:   Es ist auffallend, Helmut, dass bei der Frage, wie sich die globalen Gewichte in Zukunft verteilen werden, Russland bisher nur ganz am Rande erwähnt wurde. Es interessiert mich sehr, hier Ihre Meinung zu hören. Welche Rolle spielt Russland künftig und welche Rolle das europäisch-russische Verhältnis? Reden wir, wenn wir von Europa reden, mittelfristig über den Raum, den wir heute als EU bezeichnen, also über ein Europa bis an die Grenzen von Weißrussland, oder reden wir in dem Zusammenhang möglicherweise auch über eine Einbeziehung Russlands? Und würde dadurch das europäische Gewicht gegebenenfalls sogar gestärkt werden? Im Augenblick sehe ich gegenüber Russland nur eine enorme Indifferenz sowohl der deutschen Außenpolitik wie auch der europäischen Politik.
    Schmidt:   Wir waren ein halbes Jahrhundert lang fasziniert von der überwältigenden militärischen Macht der Sowjetunion. Die Sowjetunion ist implodiert, die militärische Macht des übriggebliebenen kleineren Russland ist nach wie vor groß, aber sie flößt uns keinerlei Angst mehr ein, und infolgedessen spielt Russland im Bewusstsein der veröffentlichten und der öffentlichen Meinung Europas kaum eine Rolle. Es spielt nach wie vor eine ganz große Rolle im Bewusstsein der politischen Klasse der Vereinigten Staaten von Amerika. Die vergleichen ihre Rüstungen und ihre militärischen Fähigkeiten heute mit China, aber immer noch vergleichen sie ihre militärischen Fähigkeiten auch mit denen der Russen.
    Steinbrück:   Aber nur die militärischen Fähigkeiten! Als politische Größe und als ökonomische Größe scheinen sie Russland nicht ganz ernst zu nehmen.
    Schmidt:   Ja, aber es genügt, dass sie die militärischen Fähigkeiten ernst nehmen, sehr ernst sogar – nach wie vor. Was nun den Einfluss der europäischen Zivilisation auf die Entwicklung der russischen Gesellschaft angeht, so ist dieser bedauerlicherweise erstaunlich gering. Es gibt immer noch keine wirklichen Ansätze zur Bildung eines russischen Mittelstandes. Man vollzieht eine Reihe von Modernisierungen, aber auf den Dörfern sieht es noch genauso aus wie heute vor vierzig oder fünfzig Jahren. Wenn wir von Russland reden, muss ich ein Bekenntnis vorwegschicken: Ich bin sehr glücklich über den Umstand, dass weder im russischen Volk noch im deutschen Volk Hass aufeinander übrig geblieben ist – nach diesem grauenhaften Krieg beinahe unerwartet und in Wirklichkeit wunderbar.
    Steinbrück:   Es ist siebzig Jahre her, dass die Deutschen Russland überfallen haben, und ich sehe es genauso: Unser heutiges Verhältnis zueinander ist fast ein Wunder nach den Millionen Opfern, nach dem, was in Russland an Gräueln und Zerstörung passiert ist und dann auf Deutschland zurückschlug. Aber wir unterschätzen Russland politisch. Es sind, wie ich glaube, vor allem drei Faktoren, die in der europäischen Wahrnehmung Russlands eine sehr viel größere Rolle spielen müssten: Erstens der erstaunliche Widerspruch zwischen einem extrem rohstoffreichen Land und einem Land, das technologisch mit wenigen Ausnahmen hinterherhinkt. Zweitens die Tatsache, dass Russland mit den angrenzenden islamisch geprägten Staaten und einem stark islamisch geprägten Bevölkerungsanteil möglicherweise in Konflikte gerät, denen sich auch Europa ausgesetzt sehen könnte. Und drittens der bevölkerungsmäßig zunehmend sich entleerende sibirische Raum, in dem je nach Szenario, was die chinesischen Interessen betrifft, durchaus Spannungen entstehen können. Ich vermisse eine europäische Strategie, wie vor diesem Hintergrund mit Russland umgegangen werden soll.
    Schmidt:   Ich würde einen vierten Punkt hinzufügen wollen. Die Russen haben aus eigener Kraft, insbesondere während des Zweiten Weltkrieges, eine Technologie entwickelt, die Weltspitze war; ihre Errungenschaften lagen aber fast ausschließlich auf militärischem Gebiet. Und als es gar nicht mehr ankam auf militärische Macht, haben sie es versäumt, das Personal, das diese fabelhaften Leistungen bis hin zum ersten Satelliten im Weltraum zustande gebracht hat, mit neuen Aufgaben zu betrauen. Sie haben dieses Potenzial ungenutzt versickern lassen, zum Teil wurden die Leute festgehalten auf dem Feld der Rüstung, zum Teil sind sie in alle Welt gegangen. Es steckt da aber noch immer ein großes Potenzial an

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