Zug um Zug
stramm geschadet. Man kann mit ihm heute darüber reden, dass das ein Fehler war – ich meine Gerd Schröder.
Schmidt: Es hat übrigens während des Krieges auch schon nicht intakte Familien gegeben, weil die Väter im Krieg waren. Die Mütter waren in der Rüstungsindustrie praktisch eingezogen und kamen nur am Wochenende nach Hause.
Steinbrück: Die vaterlose Generation nach dem Krieg, die kann ich erinnern. Die ist auch literarisch in vielen Fällen aufgearbeitet worden, bis hin zu dem Film von Sönke Wortmann, Das Wunder von Bern , wo ein Spätheimkehrer nach Hause kommt zum Zeitpunkt der Fußball-Weltmeisterschaft 1954. Die damit verbundenen Spannungen sind ganz gut dargestellt in diesem Film.
Schmidt: Die Generation, die weiß, was Krieg ist, weil sie ihn erlebt hat, die ist fast ausgestorben. Diese Generation war beseelt von dem einen Gedanken: Wir müssen dafür sorgen, dass sich das niemals wiederholt.
Steinbrück: Es ist richtig, dass diese Politikergeneration geprägt war erstens durch den Krieg, zweitens natürlich durch die Nazizeit und drittens vielleicht sogar durch die Erfahrung der Weimarer Zeit. Diese Prägung kann kein Nachkriegsgeborener in irgendeiner Form aufweisen. Und eigentlich ist es ja ein Glücksfall, dass viele von uns nicht diese Erfahrungen haben machen müssen mit teilweise gebrochenen Biographien und traumatischen Erlebnissen, insbesondere in den Jahren zwischen 1939 und 1945.
Schmidt: Wenn es um Unterschiede in der Motivation von Politikern meiner Generation und Politikern der Nachkriegsgeneration geht, dürfen Sie eines nicht übersehen: dass es in den frühen Jahren der Bundesrepublik für einen Politiker nicht darum ging, Karriere zu machen. Natürlich gab es Ausnahmen. Der damalige FDP-Vorsitzende Erich Mende ist der typische Fall, der mir in Erinnerung kommt, aber dergleichen war sehr selten. Adenauer wollte nicht Bundeskanzler werden. Das wollte er auch , aber das war nicht sein Motiv. Er wollte aus der alten katholischen Arbeiterbewegung einerseits und den Ruhrbaronen andererseits eine Volkspartei machen, und das ist ihm auch gelungen – ein taktisches Glanzstück sondergleichen. Aber das tat er aus gemeinnützigen Motiven, nicht mit Blick auf seine Karriere. Heutzutage plant man eine politische Karriere, man studiert Politologie, man studiert, wie Meinungsumfragen analysiert werden müssen, damit man morgen die richtige Politik verkaufen kann. All das dient der eigenen Karriere. Und wenn man es dann geschafft hat, kann man sich gar nicht vorstellen aufzuhören. Es ist schrecklich, zu sehen, wie viele Politiker an ihrem Stuhl kleben.
Steinbrück: Ein Rücktritt oder allgemein ein Ausscheiden aus der Politik setzt immer voraus, dass man die Souveränität haben muss, sich vorzustellen, dass es neben und außer der Politik auch noch eine alternative Lebensgestaltung gibt.
Schmidt: Dazu ist eine wichtige Voraussetzung, dass der Mann oder die Frau einen gelernten und ausgeübten Beruf haben, in den sie zurückkehren können. Eine der schlimmsten Entwicklungen der letzten Jahrzehnte ist, dass manche Parlamentarier keinen Beruf haben. Wenn sie dann aus dem Parlament herausgewählt werden oder aus irgendwelchen Gründen nicht mehr ihre parlamentarische Laufbahn fortsetzen können, werden sie Lobbyisten oder Verbandsgeschäftsführer oder weichen mehr oder minder zwangsläufig auf Tätigkeiten aus, die man nicht so ganz ernst nehmen muss.
Steinbrück: Im Bundestag sind ehemalige oder immer noch aktive Vertreter des öffentlichen Dienstes überproportional vertreten. Die Bandbreite beruflicher Erfahrungen müsste größer sein, wenn dort der ökonomische und gesellschaftliche Wandel abgebildet werden soll. Besonders selten sind Quereinsteiger. In den Parteien findet sich stattdessen häufig ein Politikertypus, der angepasst Parteikarriere betrieben hat, schon in den Jugendorganisationen auf ein Mandat hinsteuerte und über diesen Anpassungskurs an parteiverträgliche Positionen leicht realitätsblind für die Veränderungen außerhalb seiner Partei werden kann.
Schmidt: Natürlich gab es solche Typen auch früher schon, aber ihr Anteil an der Gesamtheit der Mitglieder des Bundestages war sehr viel kleiner als heute.
Steinbrück: Da wir schon beim Ausscheiden aus der Politik sind, muss ich eine Frage loswerden. Sie haben immer gesagt, Ihr Ausscheiden aus dem Amt des Bundeskanzlers sei für Sie eine Erleichterung gewesen. Haben Sie
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