Zug um Zug
als sie in wilhelminischen und Reichswehr- und Nazizeiten aufwies. Der redete lange auf mich ein, indem er sagte: Also, wenn Sie sich politisch für solche Fragen interessieren und wenn Sie sich in diese Richtung engagieren wollen, dann können Sie auch in die SPD eintreten.
Schmidt: Peer, was für eine Truppe war das?
Steinbrück: Das war das 314. Panzerbataillon in Oldenburg-Bümmerstede, das gibt es heute nicht mehr. Es ist etwas merkwürdig gewesen, dass ich mit 1,86 Metern ausgerechnet zu dieser Panzertruppe kam.
Schmidt: Ein bisschen zu lang für die Panzer.
Steinbrück: Mir fiel die Luke auf den Kopf. Einige sagen, das merkt man. Eine Persiflage auf die Panzertruppe lautete: Breit fahren, schmal denken.
Schmidt: Weil Sie Willy Brandt als Vorbild nannten: Ich will hier mal erinnern an die unausgesprochene Rivalität zwischen Willy Brandt und Erich Ollenhauer. Diese Rivalität ist entschieden worden durch das entschlossene Handeln der Berliner Sozialdemokratie, die wirklich etwas anderes darstellte als die Sozialdemokratie in Westdeutschland. Das hing zusammen einerseits mit der Teilung der Stadt Berlin und andererseits mit der Insellage des westlichen Teils. Die Berliner Sozialdemokratie war nicht repräsentativ, aber sie kriegte publizistisch erhebliche Teile der westdeutschen Sozialdemokratie auf ihre Seite. Der Parteivorsitzende Erich Ollenhauer resignierte ganz leise und ohne Dramatik. Auf diese Weise ist Willy Brandt 1961 von der SPD zum Kanzlerkandidaten gemacht worden.
Es sind 1961 zwar Stimmen dazugewonnen worden und 1965 noch mal, aber gereicht hat es nicht, und dann wurde 1966 die große Koalition begründet. Willy Brandt schwankte, ob er der großen Koalition als Außenminister und Vizekanzler beitreten sollte oder ob er Regierender Bürgermeister von Berlin bleiben sollte. Einer der Gründe für sein Schwanken war, dass es in Bonn jemanden gab, der seinerseits glaubte, er sei eigentlich nun dran. Das war Fritz Erler, von dem ich vorhin schon gesprochen habe.
Ich muss bekennen, ich war ein Anhänger von Fritz Erler, er war für mich ein Vorbild. Er war ganze fünf Jahre älter, aber er war eine Generation reifer als ich, weil er in der Nazizeit schon erwachsen gewesen war, und ich war 1933 gerade eben 14 Jahre alt geworden. Also, ich habe den Fritz Erler ganz hoch gehalten. Gleichwohl habe ich 1966 auf Befragen durch Willy Brandt gesagt: Du hast die Wahl heute vor einem Jahr gewonnen, das hat dir noch keiner vorgemacht, du hast das Zugriffsrecht, und ich würde dir raten, greife zu. Das hat vielleicht für ihn keine große Rolle gespielt, das kann ich nicht beurteilen. Aber ich erinnere mich sehr deutlich an das Gespräch. Vor allen Dingen erinnere ich mich an die Rivalität zwischen Brandt und Erler im Vorfeld der Kabinettsbildung 1966.
Steinbrück: Den Beginn der großen Koalition 1966 habe ich als einen Zeitenwechsel empfunden. Nicht zuletzt, weil nach 36 Jahren die SPD zum ersten Mal wieder mit in der Regierungsverantwortung stand, nachdem die Regierung der ersten großen Koalition unter Führung des sozialdemokratischen Reichskanzlers Hermann Müller –
Schmidt: Aus Franken!
Steinbrück: – im März 1930 zurückgetreten war. Für mich bedeutete das auch ein Ende der Nachkriegsepoche. Die beeindruckenden Persönlichkeiten der SPD aus dieser Zeit sind mir noch sehr gegenwärtig. Einer von ihnen war Karl Schiller, dessen Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, das er gemeinsam mit Franz Josef Strauß einbrachte, wenige Jahre später Gegenstand meines Volkswirtschaftsstudiums werden sollte. Es war eine Antwort auf die erste schwere Konjunkturkrise der alten Bundesrepublik 1965/66. Diesem Gesetz lag ein völlig neues Verständnis von Wirtschaftspolitik zugrunde.
Schmidt: Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz war lediglich eine richtige und wirksame Antwort auf die Bekämpfung der nationalen Wachstums- und Konjunkturkrise in Deutschland. Auf die späteren, durch die Ölpreiskrise ausgelösten weltweiten Verwerfungen konnte es keine ausreichende Antwort geben.
Steinbrück: Obwohl ich Brandts Wahlsieg vom November 1972 als einen der größten Triumphe der SPD in Erinnerung habe – insbesondere wegen der Anfeindungen, denen die Sozialdemokratie seit 1966 auch aus einem Rechtsaußenlager der CDU/CSU ausgesetzt war –, fiel auf die seinerzeit von mir bewunderte Persönlichkeit von Willy Brandt ein leichter Schatten, als ich später erfuhr, welchen
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