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Zug um Zug

Zug um Zug

Titel: Zug um Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt / Peer Steinbrück
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Schwankungen er ausgesetzt war. Von Horst Ehmke weiß ich, dass Brandt ganze Tage lang nicht ansprechbar war, außer von ihm als Kanzleramtschef.
    Schmidt:   Horst Ehmke war ab 1969 Willy Brandts Regierungsmanager und hat häufig genug eine Ordre de Mufti verkündet, von der der Mufti gar nichts wusste.
    Steinbrück:   Aber der Mufti hat sich auch oben auf dem Venusberg hinter zugezogenen Vorhängen manchmal tagelang eingeschlossen. Da musste der Verwaltungsleiter dann für Ordnung auf dem Hof sorgen und manches für den Herrn erledigen.
    Schmidt:   Das ist richtig – genauer gesagt, Brandt zog sich nicht zurück, sondern er litt an Depressionen, und die waren zum Teil so schlimm, dass seine eigene Ehefrau nicht zugelassen wurde. Irgendwann klopfte dann Ehmke an die Tür und sagte: Willy, wir müssen regieren. Bisweilen ist Willy darauf eingegangen, und bisweilen hat er Ehmke machen lassen, was dazu führte, dass die übrigen Kabinettsmitglieder anfingen zu bezweifeln, dass alles richtig war, was Ehmke machte. Er war in innerer Übereinstimmung mit den Grundlinien Brandts, das muss man sagen. Aber als Wehner und Schmidt von Willy 1972 beauftragt wurden, das Kabinett zusammenzustellen – er litt wieder an einer Depression, trotz des phantastischen Wahlsiegs; er hatte die SPD bis auf 45 Prozent gebracht –, brauchten wir über Ehmke nicht ein Wort zu reden. Es war völlig klar, er musste weg aus dem Bundeskanzleramt und kriegte ein Ressort.
    Steinbrück:   Er kriegte Forschung und Technologie.
    Schmidt:   Jedenfalls hat Ehmke uns das nicht verziehen. Willy Brandt hat es akzeptiert. Es hat später mal eine Bemerkung gegeben von Brandt, dass wir ja das Kabinett zusammengestellt hätten, und so zwischen den Zeilen schien das zu heißen: Ich, Brandt, hätte das ein bisschen anders gemacht.
    Steinbrück:   Ja, dann hätte er mal eingreifen sollen.
    Schmidt:   Hat er aber nicht getan, er hat akzeptiert, was Wehner und ich vorbereitet hatten. Wir installierten zum Beispiel wieder einen Wirtschaftsminister – das Ressort war ja nach dem Rücktritt von Alex Möller mit dem Finanzressort zusammengelegt worden –, weil der Wirtschaftsminister damals immer noch für wichtig gehalten wurde.
    Steinbrück:   Aber die SPD hätte das Bundeswirtschaftsministerium 1972 nicht der FDP geben dürfen.
    Schmidt:   Es ging nicht an die FDP, es ging an Hans Friderichs, ein ordentlicher Kerl.
    Steinbrück:   Der war FDP, und er hat das Ressort auch im Sinne der FDP wahrgenommen. Die SPD hat damit einen Kompetenzbereich preisgegeben, den sie dringend gebraucht hätte, gerade um das kürzere Bein ihrer wirtschaftspolitischen Kompetenz auf die Fitness ihres sozialpolitischen Beines zu bringen. Das habe ich damals als naseweiser Student schon für falsch gehalten.
    Schmidt:   Wen hätten Sie denn damals zum sozialdemokratischen Wirtschaftsminister gemacht, wenn Sie gleichzeitig einen sozialdemokratischen Finanzminister hatten, der dem Wirtschaftsministerium nicht nur die Kompetenz für Geld und Kredit und Bundesbank weggenommen hat, sondern auch die Grundsatzabteilung? Da saßen die ordoliberalen Gralshüter von Ludwig Erhard und die Europa-Skeptiker aus seiner Schule.
    Steinbrück:   Der Finanzminister hieß Helmut Schmidt.
    Schmidt:   Richtig. Was blieb denn für diesen Wirtschaftsminister da noch übrig? Die Eröffnung von Handelsmessen und ähnliche Festivitäten.
    Steinbrück:   Dafür haben aber Friderichs und Lambsdorff ganz schön Drall entwickelt. Das ordnungspolitische Weltbild des Bundeswirtschaftsministeriums ist bis heute auf dem Stand der klassischen und neoklassischen Wirtschaftstheorie stehengeblieben. Dass Märkte zu Exzessen neigen können und die Privatisierung öffentlicher Güter nicht automatisch ein Gewinn für das Gemeinwesen darstellt, ist dort bis heute nicht angekommen.
    Schmidt:   Lambsdorff ja, aber nicht Hans Friderichs. Auf den lass ich nichts kommen, der war loyal.
    Steinbrück:   Man kann nicht alles bei Lambsdorff abladen. Der war schon ein politisches Gewicht, das die heutige FDP als Zwergenverein erscheinen lässt.
    Schmidt:   Lambsdorff war nicht unbedingt ein Liberaler. Er war im Kern ein Konservativer, auch ein Interessenvertreter, und er war eigentlich unglücklich in dieser Koalition mit den von ihm nicht sonderlich geachteten Sozialdemokraten. Der wollte von Anfang an da raus und hat das auch jedermann spüren lassen. Es war übrigens typisch für ihn als

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