Zug um Zug
wir eines Tages nur noch eine AG 65plus und alte Säcke in der Kommunalpolitik. Natürlich müssen sich die jungen Leute ein gewisses Handwerkszeug aneignen. Sie müssen eingeführt werden in die Fragen des kommunalen Haushaltsrechts, sie müssen eingeführt werden in die Aufgaben, die sich aus der Schulträgerschaft oder dem öffentlichen Nahverkehr ergeben. Die Kommunalakademien, die diese jungen Leute schulen, sind deshalb in meinen Augen eine wichtige Einrichtung. Sie sind übrigens eine Erfindung von Franz Müntefering.
Schmidt: Ich finde es lobenswert, dass Sie sich nach Ihrem Ausscheiden aus dem Finanzministerium –
Steinbrück: Während meiner Zeit als Ministerpräsident habe ich mich dort regelmäßig engagiert und konnte manche erfreuliche Entwicklung verfolgen. Ich gebe ein Beispiel. Die Kölner SPD lag völlig danieder, in sich zerstritten zwischen links und rechts, völlig paralysiert von einem Korruptionsfall, und kam aus diesem Sumpf überhaupt nicht raus. Die CDU gewann mit Pauken und Trompeten, die SPD taumelte im Ring. Dieser Zustand ist überwunden worden, indem schlicht und einfach eine Generation übersprungen wurde; eine junge Riege von Dreißigern mit einem neuen Parteivorsitzenden und einem neuen Fraktionsvorsitzenden, die rissen das Ding wieder raus. Die habe ich alle kennengelernt vor zehn Jahren in der Kommunalakademie in Stenden. Sie haben meine vollständige Bewunderung, zumal sie in der Lage sind, mit ihrer Ausstrahlung auch andere wieder zu begeistern. Das heißt, die Kölner SPD-Führung ist erstaunlich jung, offen, nicht mehr zerrissen in Flügel. Sie ist nicht mehr mit sich selbst beschäftigt in ideologischen Grabenkrämpfen, die den Revisionismusstreit zwischen Kautsky und Bernstein nachvollziehen, sondern steht mit beiden Beinen in der kommunalpolitischen Verantwortung – mit viel Common Sense, viel Pragmatismus, aber auch mit Überzeugung und sozialdemokratischer Leidenschaft. Diese Kölner SPD stimmt mich ausgesprochen positiv für die Zukunft.
Schmidt: Mit begeisterten jungen Leuten zieht man jedenfalls lieber in den Wahlkampf als mit Heulsusen!
Steinbrück: Gut, dass Sie daran erinnern, Helmut. Im Sommer 2007 habe ich aus Frust über das Selbstmitleid und den Hader der Partei mit sich selbst dieses Wort mal aufgegriffen und bin dafür natürlich fulminant kritisiert worden. Ich hatte diese Stimmung bei einigen SPD-Vertretern einfach satt, sich selber zu beweinen, sich selber zu bemitleiden wegen der angeblich so schlimmen Auswirkungen der Agenda 2010 – und was sonst alles schiefgelaufen ist. Solche Leute scheinen immer eher am Scheitern orientiert zu sein als am Gelingen. Es gibt eine zweite Tendenz, die darin besteht, sich zum Orakel darüber zu erheben, was und wer politisch korrekt und wer nicht korrekt ist in der Partei.
Schmidt: Apropos Wahlkampf. Ich bin heute noch innerlich stolz darauf, dass ich an der Spitze einer Koalition zwei Bundestagswahlkämpfe gewonnen habe, in denen die Sozialdemokratische Partei beide Male beinahe 43 Prozent der Stimmen erreicht hat. Das soll die heutige SPD gefälligst mal nachmachen.
Steinbrück: Muss man einen Wahlkampf gewonnen haben, um erfolgreich Politik machen zu können? Einige sagen, ja – nach dem Motto: Du musst mal irgendwann den Lackmustest gemacht haben, dass du auch gewinnen kannst. Es ist möglicherweise das Manko sowohl von Frank-Walter Steinmeier mit einer verlorenen Bundestagswahl als auch von mir mit einer verlorenen Landtagswahl. Das steckt mir in den Kleidern. Man muss aber die Umstände sehen.
Es gab damals eine herrliche Karikatur: Herr Rüttgers und ich als Jockeys kurz vor der Zielmarke; ich ziehe das Pferd SPD hinter mir her, und nebendran zieht das Pferd CDU an seinem Schwanz den Rüttgers hinter sich her. Die Unterschrift lautete: Gewonnen hat, wessen Pferd als erstes im Ziel ist. Das beschrieb genau die Situation. Trotzdem war die verlorene Landtagswahl 2005 natürlich meine größte politische Niederlage, schon deshalb, weil ich derjenige war, der nach 39 Jahren diese SPD-Regentschaft verlor. Ich gebe zu, ich war psychologisch schon im Wahlkampf darauf eingestellt, weil ich wusste, dass es kaum möglich war, diese Wahl zu gewinnen. Insofern hat es mich seelisch nicht aus den Angeln gehoben. Dass die CDU-Ära unter Rüttgers dann nur fünf Jahre dauerte, hat mich positiv überrascht.
Schmidt: Jetzt sind wir doch bei der Kandidatenfrage gelandet. Ich gehe davon aus,
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