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Zug um Zug

Zug um Zug

Titel: Zug um Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt / Peer Steinbrück
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solchen Feld versucht, unterliegt natürlich besonderer Beobachtung, erst recht, wenn es um delikate Texte geht. Da empfand ich durchaus leichten Stress.
    Schmidt:   Ich habe mal eine Frage. Wenn Sie sich mit Heidegger beschäftigt haben, können Sie heute ein Urteil abgeben über die Bedeutung seines großen Buches Sein und Zeit ?
    Steinbrück:   Nein, kann ich nicht.
    Schmidt:   Bei Heidegger hat mich ein Vorurteil davon abgehalten, mich näher mit ihm zu beschäftigen. Das war seine begeisterte Nazibegrüßung 1933. Das hat bei mir zu einem nachhaltigen Vorurteil geführt.
    Steinbrück:   Ja, deshalb habe ich ihn ja auch als Schuft bezeichnet, weil er so lange liiert gewesen ist mit Hannah Arendt, 1933 dann bei den Nazis mitlief und nach dem Krieg wieder versuchte, die Emigrantin in die Arme zu nehmen, und zwar buchstäblich.
    Schmidt:   Das heißt, Sie bestätigen mein Vorurteil?
    Steinbrück:   Ja.
    Schmidt:   In dem Zusammenhang, da wir über deutsche Philosophen reden: Was denken Sie über Jürgen Habermas? Ich lese mit Interesse, was er an Kommentaren zu politischen Problemen schreibt, und finde manches davon sehr vernünftig und nachdenkenswert. Von seiner Philosophie verstehe ich gar nichts. Und ich gebe zu: Auch gegenüber Habermas habe ich ein leichtes Vorurteil gehabt, weil er zur Frankfurter Schule gehörte, die mir unheimlich gewesen ist.
    Steinbrück:   Na, so unheimlich ist mir die nicht gewesen. Ich habe Marcuse, Adorno, Horkheimer in den sechziger Jahren gelesen. Aber am meisten hat mich damals die Arbeit von Habermas interessiert, Strukturwandel der Öffentlichkeit . Die Frankfurter Schule war zwar weiter links orientiert als ich, aber ich fand es ganz interessant, sich damit auseinanderzusetzen. Mehr fasziniert als solche Philosophen haben mich allerdings die Renegaten und Konvertiten, insbesondere Manès Sperber, Arthur Koestler, André Gide oder Ignazio Silone, die sich in den zwanziger und dreißiger Jahren für die Kommunistische Partei begeistert haben, dann aber eine tiefgreifende Enttäuschung erlebten – auch ausgelöst durch die Moskauer Schauprozesse – und später teilweise ganz andere Wege gegangen sind. Die waren in meiner politischen Auseinandersetzung wichtiger als Philosophen. Wie eine Träne im Ozean halte ich bis heute für einen der besten Romane in der Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus des 20. Jahrhunderts. Manès Sperber – später Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels – zieht einen Bogen von der Paranoia des Kommunismus über das Versagen des Bürgertums bis zur Brutalität des Faschismus.
    Schmidt:   Sie sagen, dass diese Autoren Sie mehr beeindruckt haben als die Philosophen. Aber sicher haben Sie sich auch mit Karl Popper beschäftigt?
    Steinbrück:   Ich habe Die offene Gesellschaft und ihre Feinde Ende der sechziger Jahre gelesen. Die damit verbundene Schule des kritischen Rationalismus fand ich immer faszinierender als die holistischen Philosophien oder Denkgebäude, die den Anspruch erheben, alles erklären zu können oder gar das Gesetz der Geschichte auf ihrer Seite zu haben. Ein Satz von Popper, der mich sehr beeindruckt hat, lautet: Lasst Thesen sterben statt Menschen.
    Schmidt:   Popper hat mich endlich begreifen lassen, warum mir die marxistische Vorstellung vom Klassenkampf und von der Diktatur des Proletariats immer zutiefst unheimlich vorgekommen war. Ich hatte eine gefühlsmäßige Abneigung gegen diese beiden Schlagworte, und Popper hat mich gelehrt, warum diese gefühlsmäßige Abneigung auch vernunftmäßig absolut begründet war. – Ich habe Popper übrigens persönlich gut gekannt. Da unten neben dem Klavier liegt eine Komposition von ihm, mit der Hand geschrieben, die hat er mir geschenkt, als ich ihn einmal besuchte. Er wohnte in einem Haus außerhalb Londons und hatte sehr schön gebundene griechische Klassiker in seinem Bücherschrank stehen. Was ich bei ihm nicht begriffen habe, ist die Falsifikationstheorie. Die hat mir nicht wirklich eingeleuchtet.
    Steinbrück:   Mir wohl. Es gibt keinen absoluten Erkenntnisfortschritt, das ist die These. Ich erlange Erkenntnisfortschritt nur durch Widerlegung. Das Falsifikationskriterium von Popper hat mir immer eingeleuchtet. Das empfand ich sogar als den wichtigsten Bestandteil dieser Schule des kritischen Rationalismus. Und genau das Gegenstück zu solchen Philosophien oder Gedankengebäuden, die sich immunisiert haben gegen jede Falsifikation, wie der

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