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Zug um Zug

Zug um Zug

Titel: Zug um Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt / Peer Steinbrück
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Bücher auch einen größeren Einfluss auf die öffentliche Meinung, als sie es heute haben. Heutzutage werden vielleicht genauso viele Bücher verkauft wie damals, aber sie werden verkauft, um verschenkt zu werden, und der Beschenkte stellt sie ins Regal. Ich lege mir zum Einschlafen immer ein Buch auf meinen Nachttisch. Gestern Abend, nein vorgestern, war das Franz Mehring, ein Marxist –
    Steinbrück:   Darüber kann man aber auch einschlafen.
    Schmidt:   Ich habe ihn mit Interesse gelesen, all diese zum Teil ziemlich brachialen Polemiken gegen sämtliche Philosophen der Weltgeschichte. Und dann habe ich geguckt, wie hoch war die Druckauflage: 5000 Exemplare. Das fand ich bemerkenswert, dass eine so dicke Geschichte der Philosophie in der Sozialdemokratie und Arbeiterbewegung einmal mit solcher Aufmerksamkeit rezipiert worden ist.
    Steinbrück:   Jetzt wissen wir, woher Sie Ihre Urteile über die Philosophen beziehen: von Franz Mehring.
    Schmidt:   Das weise ich mit dem Ausdruck der Empörung zurück!
    Steinbrück:   Nicht nur die Bereitschaft zur Lektüre längerer Texte schläft ein. Auch die Kunst der Korrespondenz verkümmert, weil viele auf E-Mails und SMS ausweichen. Stattdessen nimmt die Enthemmung im Internet deutlich zu; das Internet ist in erschreckender Weise zum öffentlichen Forum für Beschimpfungen und Herabwürdigungen und Verdächtigungen geworden. Ich muss das hier jetzt loswerden. Ich war im Juni auf der Bilderberg-Konferenz in St. Moritz. Die war wie immer hochkarätig besetzt: Jean-Claude Trichet, zwei oder drei EU-Kommissare, eine führende Vertreterin der Volksrepublik China, Manager der amerikanischen Internetwirtschaft – ein glänzender Auftritt des schwedischen Außenministers Carl Bildt. Diskutiert wurde unter anderem über den Nahen Osten, Afghanistan, die europäische Währungsunion und die Auswirkungen moderner Kommunikations- und Informationstechnologien auf Bürgerfreiheiten. Die Konferenz wurde von lautstarken Demonstrationen begleitet. Auf einem Spaziergang durfte ich mich als Kriegsverbrecher beschimpfen lassen. Andere Teilnehmer klärten den Neuling auf: Diese regelmäßig stattfindenden Konferenzen würden von einigen Leuten entweder als kapitalistische Verschwörung oder als jüdische Verschwörung – weil Henry Kissinger auch dabei war – angesehen. In einer kranken Phantasie wird die Bilderberg-Konferenz als Ausgangspunkt für kapitalistische Exzesse und Personalentscheidungen wahrgenommen. Mein Ausflug wurde filmisch festgehalten und hinterher mit allen Diffamierungen bei YouTube ins Netz gestellt. Meine Internetadresse wurde mit Empörungen überflutet. Ich habe das als ungeheuerlich empfunden.
    Schmidt:   Lassen Sie uns noch einen Moment bei den Büchern bleiben. Man kann von Politikern nicht erwarten, dass sie Bücher schreiben. Was man von ihnen verlangen muss, ist, dass sie Bücher lesen.
    Steinbrück:   Ich würde mir wünschen, dass Politiker – jedenfalls mit einer gewissen Durchdringungstiefe – auch darüber Bescheid wissen, was in der Kunst- und Kulturszene oder literarisch läuft. Sie müssen sich ja nicht gleich als Experten aufspielen, aber in etwa mitzukriegen, welche Debatten in der Historikerzunft geführt werden, oder zu verfolgen, womit sich zeitgenössische Literatur, Film und Theater beschäftigen, das gehört schon zur – fast hätte ich gesagt – Allgemeinbildung eines Politikers. Wie weit solche Kenntnisse und Interessen unter Politikern wirklich verbreitet sind, weiß ich nicht. Ich bin jedenfalls immer freudig überrascht, wenn ich einen Gleichgesinnten treffe, einen Theaternarren oder einen Büchermenschen. Der größte Bibliomane, den ich in der SPD kenne, ist Reinhard Klimmt; er besitzt eine wahnsinnige Bibliothek und kauft ganz gezielt bestimmte Ausgaben und hat darüber auch ein Buch veröffentlicht. Er hat übrigens eine der besten Charakterisierungen von Oskar Lafontaine gegeben, die ich kenne – in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung im Oktober 2008. Ohne seine alte Freundschaft darüber aufzukündigen oder in Frage zu stellen, hat er trotzdem kritisch über seinen langjährigen Weggefährten gesprochen – und wie er das gemacht hat, war eine Meisterleistung.
    Schmidt:   Ich wusste nicht, dass Klimmt ein Buch übers Büchersammeln geschrieben hat. Meistens handelt es sich bei Büchern von Politikern um Erinnerungsbücher, die sie geschrieben haben, nachdem sie aus dem Amt

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