Zug um Zug
eines Tages noch eine Etage höher zu landen. Das war nicht Ihr Ziel. Und ich halte das, was Sie eben vorgetragen haben, für glaubwürdig und für richtig.
Steinbrück: Zu glauben, das seien alles geradlinige Politikerkarrieren, ist eine Unterstellung. Da spielen auch Zufälle und spezifische Konstellationen eine Rolle, in denen man gefragt wird, in denen man auch mal bearbeitet wird, etwas gegen die eigene Lebensplanung zu tun. Ich habe mir 2005, nach der Wahlniederlage in NRW, nicht vorgestellt, wieder ein politisches Amt zu übernehmen. Ich habe mir vorstellen können, an eine Hochschule zu gehen; ich habe mir vorstellen können zu publizieren; ich habe mir vorstellen können, in der einen oder anderen Stiftung tätig zu werden. Dass mein politischer Werdegang weitergehen würde, war nicht zwingend.
Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal unterstreichen, was Sie eben angedeutet haben – ich nenne es das Prinzip Zweifel. Ich glaube, es gibt in der Öffentlichkeit das falsche Bild, dass es diese Zweifel, auch Selbstzweifel bei Politikern, die in der Verantwortung stehen, kaum gäbe. Mit Blick auf das, was man kann und was man nicht kann, ist ein Politiker aber nicht anders als andere, von denen Entscheidungen verlangt werden. Ich gebe freimütig zu, ich schätze all diejenigen Kollegen oder Kolleginnen am meisten – egal, welcher Partei sie angehören –, die offen zugeben, dass sie morgens im Dialog mit ihrem Rasierspiegel oder Schminkspiegel auch Zweifel haben. Mit diesen Zweifeln sollen sie nicht kokettieren, mit diesen Zweifeln sollen sie nicht auf den Markt gehen – das wäre politischer Selbstmord. Aber morgens vor dem Spiegel, den man über die eigenen Stärken und Schwächen nicht anschwindeln kann, sollten sie sich mit diesen Zweifeln beschäftigen.
Schmidt: Die Erwähnung des Zweifels an dem, was man denkt und tut, finde ich richtig und notwendig. Ein anderes Element ist auch notwendig; es hängt mit dem Zweifel zusammen und muss hier genannt werden: die Freundschaft zu Menschen in der gegnerischen Partei. Zum Beispiel war ich herzlich befreundet mit jemandem, mit dem ich mich im Bundestag auf das Schlimmste öffentlich auseinandergesetzt habe, das war der Großvater des heutigen Guttenberg. Oder mit Rainer Barzel, auf dessen Wort ich mich immer habe verlassen können, oder sehr viel später mit Theo Waigel oder Gerhard Stoltenberg. Vielleicht ist Freundschaft ein falscher Ausdruck. Es gab eine Reihe von Politikern, von denen man wusste: Ich kann mich auf sein Wort verlassen, und er kann sich auf mein Wort verlassen. Man kann das Freundschaft nennen. Jedenfalls ist es nicht so, dass Politiker prinzipiell keine belastbaren menschlichen Beziehungen hätten zu Leuten außerhalb des eigenen Lagers.
Steinbrück: Ich würde eher von sehr kollegialen oder besser von vertrauensvollen Beziehungen zu Politikern anderer Parteien reden. Ich hätte Mühe zu sagen, da haben sich Freundschaften herausgebildet. Aber dieselben Erfahrungen, von denen Sie berichten, habe ich auch gemacht, und sie wurden von manchen fast etwas irritiert verfolgt, etwa wenn ich an die Zusammenarbeit denke, die ich mit dem früheren hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch hatte. Übrigens auch zur Verwunderung meiner eigenen Frau, die sagte, diese Geschichte mit den »jüdischen Vermächtnissen« würde sie bei einer Charakterbeurteilung ziemlich deutlich auf der Passivseite ansiedeln. Aber ich habe mit Roland Koch viele Projekte sehr vertrauensvoll und sehr verlässlich bearbeitet und dabei auch einen Zugang zu ihm gefunden. Ein ähnlich entspanntes Verhältnis empfinde ich zu Friedrich Merz. Und ich täusche nicht darüber hinweg, dass in den vier Jahren, in denen ich im Kabinett von Frau Merkel saß, es auch eine sehr vertrauensvolle, diskrete Zusammenarbeit und einen entsprechenden Dialog mit der Bundeskanzlerin gab – was mich nicht hindert, ihre gegenwärtige Politik zu kritisieren.
Schmidt: Ich will noch ein paar Namen hinzufügen, weil ich eben nur Leute aus der CDU/CSU genannt habe. Zu einigen Politikern der FDP gab es ähnlich freundschaftliche Verhältnisse. Wolfgang Döring – den Namen erinnern Sie wahrscheinlich nicht mehr –
Steinbrück: Doch, ja.
Schmidt: Einer der in Düsseldorf damals, in den frühen sechziger Jahren, so genannten Jungtürken; dem habe ich vertraut, und der hat mir vertraut. Das Gleiche gilt für Hilde Hamm-Brücher, das Gleiche gilt für Wolfgang Mischnik,
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