Zug um Zug
hamburgischen Senats und habe die Gründung der neuen Lufthansa mitgemacht. Es gab bis dahin das sogenannte Büro Bongers. Bongers war der Kaufmann, der übrig geblieben war von der alten Lufthansa; von ihm und einem Ingenieur namens Höltje ging die Initiative zur Gründung der Lufthansa aus. Die Bundesländer – an der Spitze NRW, Hessen, Bayern, Baden-Württemberg und Hamburg – taten sich zusammen, und jeder wollte einen Teil der neuen Fluggesellschaft für sein Land haben. Das Ergebnis war: Baden-Württemberg bekam nichts, Bayern bekam nichts, NRW bekam die Hauptverwaltung – die ging nach Köln –, und dass Frankfurt das Verkehrszentrum wurde, war zwangsläufig. Hamburg aber kriegte die technische Basis und hat heute 14000 Mann Belegschaft. So ist die heutige Lufthansa entstanden, und den Strauß hat das mit Recht gewurmt. Später hat er – das ist eine ganz große Leistung – aus diesem peripheren Flughafen München einen Weltflughafen gemacht mit ich weiß nicht wie viel tausend Arbeitsplätzen. Hamburg hatte auch eine Chance, hat aus Kleinkariertheit der Hamburger und der Schleswig-Holsteiner aber Kaltenkirchen nicht fertiggebracht. Stattdessen ist Kopenhagen das große Zentrum geworden.
Steinbrück: Im Zusammenhang mit Franz Josef Strauß haben Sie eben darauf hingewiesen, dass Politik auch eine Charakterfrage ist. Wo es um Führungsstärke, um Belastbarkeit, um Verantwortungsbewusstsein geht, hängt vieles in der Tat von der charakterlichen Disposition des Betreffenden ab. Ein Mensch, der kein intaktes Selbstbild hat, hat in der Politik nichts zu suchen.
Schmidt: Es ist nicht so ganz leicht für ein großes Publikum, den Charakter eines Menschen, der da oben, ganz weit weg von uns lebt, einigermaßen richtig einzuschätzen. Wenn zum Beispiel die Wähler in Italien immer wieder den Herrn Berlusconi zum Premierminister machen – ich glaube, inzwischen zum dritten Mal –, dann liegt dem offensichtlich zugrunde, dass eine große Zahl von Italienern die charakterlichen Defizite dieses Herrn nicht begriffen hat. Die Leute in Paris oder in Berlin oder die Leute in Luxemburg können Herrn Berlusconi offenbar besser beurteilen als die Leute in Rom, aber inzwischen wachen die auch auf.
Steinbrück: Das Rätsel im Fall Berlusconi ist, dass er ja ganz offensichtlich Eigenschaften besitzt, die aus unserer Sicht nicht positiv besetzt sind, aber aus der Sicht einer breiten italienischen Wählerschaft schon. Sein Umgang mit jungen Frauen ist kein Geheimnis, und auch die Berichte, wonach er seinerzeit der sogenannten Geheimloge P2 nahegestanden haben soll und von denen eventuell sogar eine Art Anfangsfinanzierung bekommen hat, um darüber einen Medienkonzern aufzubauen, sind kein Geheimnis. Das wird aber offenbar nicht als störend empfunden, jedenfalls nicht in der Wahrnehmung vieler Wähler. Im Gegenteil, ich habe Kommentare in Erinnerung, dass Berlusconi etwas widerspiegele, was zumindest im maskulinen Teil der italienischen Wählerschaft gut ankommt.
Schmidt: Ja, nicht nur beim maskulinen Teil! Für mich ist, was den Charakter dieses Herrn angeht, eigentlich viel wichtiger, dass er sich in einer Reihe von Fällen in rechtsstaatswidriger Weise der Justiz entzogen hat.
Steinbrück: Ja, bis hin zur Beugung des Rechtssystems.
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Schmidt: Ich komme noch mal auf unser Ausgangsthema zurück, die politische Karriere. Ich habe gesagt, dass Karriere mich in Wirklichkeit nicht gereizt hat. Was mich gereizt hat, war die Verantwortung für das öffentliche Wohl, für die Salus publica – das war unausgesprochen und ausgesprochen für mich immer die oberste Regel. Karriere hat mich nicht sonderlich interessiert, muss ich wirklich sagen. Kein Journalist glaubt das, weil er es in seinem Politologiestudium anders gelernt hat. Aber es ist so. Natürlich ist jeder Mensch – und das gilt auch für mich – begabt mit Geltungsbedürfnis. Mein Geltungsbedürfnis war befriedigt, wenn meine Bücher gelesen wurden und wenn das Publikum, das meiner Rede zuhörte, damit weitgehend einverstanden war. Das reichte vollständig aus. Unbedingt an die Spitze zu kommen, auf diese Schnapsidee bin ich niemals gekommen. Ich habe Willy Brandt beschimpft, als er zurücktrat – in Wirklichkeit, ich sage es klipp und klar, aus Schiss vor der Verantwortung.
Steinbrück: Hatten Sie nicht doch das Gefühl, Helmut, dass es Herausforderungen gab, die Sie besser bewältigen konnten als
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