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Zug um Zug

Zug um Zug

Titel: Zug um Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt / Peer Steinbrück
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andere?
    Schmidt:   Es war aber kein anderer da. Als Brandt zurückgetreten war, war überhaupt keiner da, der beansprucht hätte oder dem die anderen zugetraut hätten –
    Steinbrück:   Das unterliegt doch wieder dem Zweifel – dem Zweifel, es könnte sein, dass du es besser machst als andere, es könnte sein … Ich habe hier eine etwas andere Wahrnehmung, indem ich die Ämter, die ich ausfüllen durfte, zwar als Last empfunden habe, aber auch als Privileg. Als Privileg, Erfahrungen zu sammeln, Menschen kennenzulernen, Sichtweisen eröffnet zu bekommen, die ein »normaler« Bürger nicht bekommt. Ohne die Ämter, die ich innegehabt habe, hätte ich die Welt so nicht kennengelernt.
    Das ist, wenn man so will, die »Rendite« eines hohen politischen Amtes. Das ist dem breiten Publikum nur wenig glaubhaft zu vermitteln, weil der Begriff »Macht« in Deutschland negativ besetzt ist. Den Politikern wird unterstellt, sie seien – da nehme ich den Begriff von Richard von Weizsäcker – machtversessen, sie seien süchtig nach Macht.
    Schmidt:   Richard Weizsäcker wusste genau, wen er meinte.
    Steinbrück:   Ich halte Macht an sich nicht für negativ – wenn sie demokratisch kontrolliert wird. Da geht es um eine auf Zeit verliehene Macht, die einem wieder entzogen werden kann durch einen demokratischen Wahlakt –
    Schmidt:   Und die kontrolliert und eingeschränkt wird durch tausend Faktoren. Sie ist eingeschränkt durch das eigene Parlament, durch die Notwendigkeit, für jeden Beschluss eine Mehrheit zustande zu bringen. Sie ist eingeschränkt durch die Rücksichtnahme auf die Nachbarn, auf Polen, auf Frankreich, sie ist eingeschränkt durch die Rücksichtnahme auf das mächtige Russland auf der einen, das mächtige Amerika auf der anderen Seite. Die sogenannte Macht ist eine Metapher, die verbirgt, dass es sich in Wirklichkeit um ein sehr kompliziertes System handelt, zumal in einer parlamentarischen Demokratie. In einer Präsidialdemokratie ist man nicht ganz so eingeschränkt, aber auch der amerikanische Präsident braucht für jedes Gesetz eine Mehrheit im Kongress, und außerdem braucht er noch die Zustimmung des Supreme Court, die in manchen Fällen verweigert wird. Unumschränkte Macht hatte vielleicht der Tyrann von Syrakus heute vor 2500 Jahren, das mag so sein, aber in einer Demokratie hat der Mann oder die Frau an der Spitze keine unumschränkte Macht, im Gegenteil, die Macht ist auf tausenderlei Weise eingeschränkt.
    Steinbrück:   Man könnte hinzufügen, auch durch Gewerkschaften, Verbände, Medien, Kirchen, andere Vetomächte, die es in dieser Gesellschaft gibt und die, wie ich glaube, zunehmend an Einfluss gewinnen.
    Schmidt:   Ich selber habe eine Verführung durch Macht jedenfalls nie empfunden, zu keinem Zeitpunkt. Natürlich kann man das eine und andere durchsetzen, vor allem kann man manches verhindern. Ich habe eine Sache verhindert, die mir sehr am Herzen lag. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre war hinter dem Rücken des Kabinetts und hinter dem Rücken des Bundestages die Errichtung eines Gürtels von atomaren Landminen vorbereitet worden. Diese insgesamt rund hundert atomaren Landminen sollten entlang der innerdeutschen Grenze, praktisch von der Ostsee bis zum Bayerischen Wald, verlegt werden; die Löcher waren gebohrt, die Minen lagen bereit, um in die Löcher gesteckt zu werden. Auf diese Weise wäre unmittelbar bei Übertreten der Grenze durch Truppen des Warschauer Paktes ein atomarer Krieg ausgelöst worden. Im Jargon der obersten Generalität hießen diese Dinger Trettner-Minen – Trettner war der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr.
    Als ich in das Amt des Verteidigungsministers kam, fand ich dieses Vorhaben vor und beschloss, es aus der Welt zu schaffen. Ich hatte einen verständnisvollen Partner in dem amerikanischen Verteidigungsminister Melvin Laird, der mit mir darin übereinstimmte, dass das Wahnsinn war und auch gar keinen Abschreckungseffekt hatte, denn es war ja geheim. Wir waren uns aber auch darin einig, dass es geheim bleiben musste, denn wenn es öffentlich würde, dann würde in Amerika eine Empörung losbrechen über die Feigheit der Deutschen, die Angst haben vor Atombomben und die nicht wollen, dass ihr Land Schlachtfeld wird in einem atomaren Krieg. In Deutschland würde eine Welle der Ängstigung ausgelöst werden. Das Vorhaben zu beenden und die Landminen mitsamt den Löchern zu beseitigen hat uns insgesamt drei Jahre

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