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Zug um Zug

Zug um Zug

Titel: Zug um Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt / Peer Steinbrück
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ich für die Spareinlagen abgegeben haben, hätte erfüllt werden müssen. Mein Standpunkt bis heute ist, wir hätten sie erfüllen müssen, sonst hätte es den größten Vertrauensriss in der deutschen Bevölkerung gegenüber der Politik gegeben.
    Schmidt:   Ihr hättet sie erfüllen müssen und hättet damit wahrscheinlich das Grundgesetz und andere Gesetze brechen müssen. Die Patronatserklärung zugunsten der Sparguthaben war eine Glanzleistung, sie war richtig, sie war notwendig, aber sie implizierte den potenziellen Verfassungsbruch.
    Steinbrück:   Der Auftritt selber war vielleicht verfassungsrechtlich noch nicht ein Bruch, aber rechtlich legitimiert war er in keinster Weise. Wir hatten keine Rechtsgrundlage, wir hatten keine Beschlusslage des Deutschen Bundestages, der uns für eine Aussage von so weitreichenden Konsequenzen hätte legitimieren müssen. Der Problemdruck, unter dem wir standen, die Vorstellung, dass sich am Montag Schlangen vor deutschen Banken, Sparkassen, Genossenschaftsbanken bilden könnten, die das historische Gedächtnis dieser Republik aktivieren und alle Vermögensverluste des 20. Jahrhunderts in Erinnerung rufen würden, zwang aber zum Handeln.
    Schmidt:   Richtig, richtig. – Apropos Verfassungsbruch. Ein einziges Mal habe ich bewusst gegen das Grundgesetz verstoßen. Das war zur Zeit der vorhin erwähnten Flugzeugentführung nach Somalia; Hanns Martin Schleyer war als Geisel noch in der Hand der mörderischen RAF-Leute, und ein Amateurfunker in Tel Aviv oder in Jerusalem hatte die Telefonate zwischen mir und dem Diktator Siad Barre in Mogadischu mitgehört – oder Telefonate zwischen Wischnewski und Siad Barre, das weiß ich nicht mehr. Der Amateurfunker hatte das gesendet, und die Redaktion einer Tageszeitung in Westdeutschland hatte das mitbekommen. Es war die Redaktion der Welt , der diensthabende Chefredakteur hieß Hertz-Eichenrode.
    Als ich davon hörte, dass die Welt mit einer dicken Balkenüberschrift rauskommen wollte: Bundesregierung versucht, mit Gewalt das Flugzeug zu entsetzen – was natürlich sogleich in Mogadischu zu einer Katastrophe geführt hätte –, rief ich den Hertz-Eichenrode an, den ich nicht kannte, und habe ihm gesagt: Was Sie hier machen, ist absolut strafwürdig, und ich garantiere Ihnen, ich vernichte Ihre Zeitung anschließend, es sei denn, dass Sie alle Zeitungen wieder einsammeln, die am Bahnhofskiosk in Bonn bereits heute Abend ausliegen. Da hat er seine Redakteure ausgeschickt und hat im Großraum Bonn die bereits ausgelieferten Exemplare wieder einsammeln lassen. Keiner von den RAF-Leuten und niemand in Mogadischu hat von der Sache etwas erfahren.
    Mir war völlig klar, dass meine Drohung an sich bereits eine Verletzung des Grundgesetzes war und dass sie schwer zu verwirklichen gewesen wäre. Habe ich mich von der Macht verführen lassen? Ich habe das damals ganz anders empfunden, ich habe gehandelt aus Fürsorge für die neunzig Leute, die in diesem Flugzeug saßen. Das hatte mit Macht oder Missbrauch der Macht überhaupt nichts zu tun.
    Steinbrück:   Ob einer den Versuchungen der Macht erliegt oder sogar zu einer missbräuchlichen Ausübung von Macht tendiert, hängt sehr stark davon ab, ob es eine Umgebung gibt, die ihn warnen und korrigieren kann – dazu zähle ich auch die private Umgebung, die Ehefrau oder der Lebenspartner spielen dabei keine unwichtige Rolle. Was meine Mitarbeiter betrifft, so habe ich als Verhaltensregel immer gern ein chinesisches Sprichwort zitiert, wie wir nicht miteinander umgehen sollten. Und dieses chinesische Sprichwort lautet: Kommst du zu deinem Herrn oder deiner Herrin und sagst die Wahrheit, dann brauchst du ein schnelles Pferd. – Ich habe ihnen zu vermitteln versucht, dass nichts, was sie mir sagen, was gegebenenfalls meinen Unwillen hervorruft, vielleicht sogar meine Ungeduld, vielleicht sogar meinen Zorn, dazu führen kann, dass sie ein schnelles Pferd brauchen.
    Schmidt:   Sie haben mit dem Hinweis auf die Ehefrau unser Thema um einen nicht unwichtigen Aspekt erweitert. Der Lebenslauf eines Berufspolitikers – sei es, dass er Regierungsmitglied ist, sei es, dass er im Parlament eine Rolle spielt – ist in aller Regel familienschädlich. Und das ist in Wirklichkeit eine schlimme Sache. Ich will ein Beispiel geben. Es gab Entführungspläne gegenüber meiner Frau, gegenüber mir, gegenüber meiner Tochter, und infolgedessen liefen wir alle mit Sicherheitsbeamten herum.
    Die

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