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Zug um Zug

Zug um Zug

Titel: Zug um Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt / Peer Steinbrück
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Deutsche Bank, die gerade meiner Tochter versprochen hatte, sie wird Filialleiterin in Lüneburg – eine kleine Stadt, aber immerhin eine erste Stufe in der Karriere einer Bankerin –, die Deutsche Bank kam jetzt zu dem Ergebnis: Wir können uns das nicht leisten, dass die Filialleiterin der Deutschen Bank von zwei Polizisten links und rechts flankiert ihre Kunden empfängt, das geht leider nicht. Wir schlagen Ihnen vor, gehen Sie in unsere Filiale nach London, da sind Sie aus dem Blickfeld. Das hat sie gemacht, hat sich dort verliebt und ist nicht wiedergekommen. So etwas nimmt das Publikum nicht zur Kenntnis, es bleibt aber eine tragische Geschichte. Hat dazu geführt, dass dann 35 Jahre lang Tochter und Mutter fast jeden Abend miteinander telefoniert haben, weil sie beide diese Bindung brauchten.
    Ich habe selten mit ihr telefoniert, muss ich gestehen. Ich hatte einfach keine Zeit. Als Politiker steht man von morgens um halb neun bis nachts um halb eins unter Druck und hat vielleicht zwischendurch mal Zeit, zu Hause anzurufen und zu sagen: Ich will bloß mal Uhu sagen. Das sind dann zwei, drei Minuten, und dann kommt der nächste Besucher, der steht schon draußen vor der Tür, die Sekretärin hat schon gesagt: Der nächste Besucher ist da. Und ich habe geantwortet: Ich muss noch mal schnell meine Frau anrufen, halt den doch zwei Minuten fest, gib ihm eine Tasse Kaffee. So ist das Leben.
    Steinbrück:   Welche tiefen Spuren ein Politikerleben in den Familienbeziehungen, insbesondere im Verhältnis des Vaters zu den Kindern hinterlässt, wird ja gerade ziemlich deutlich in den Interviews der beiden Söhne von Helmut Kohl und in dem Buch des älteren Sohnes.
    Schmidt:   Und in dem Buch über Frau Kohl, das in meinen Augen eine schlimme Entgleisung ist.
    Steinbrück:   Ja, das geht auch mir zu sehr ins Private. Bei meinen eigenen Kindern –
    Schmidt:   Dass dieser Autor den Abschiedsbrief von Hannelore Kohl an ihren Mann abdruckt, geschrieben am Tag vor ihrem Selbstmord, finde ich absolut disgusting, unerhört!
    Steinbrück:   Stimme ich vollständig zu. – Für meine eigenen Kinder habe ich diese Gefahr genauso gesehen, wie Walter Kohl sie schildert. Ich habe sie unter anderem dadurch zu bannen versucht, dass gemeinsame Spiele hoch im Kurs standen und ich mit meinen Kindern gelegentlich Städtereisen über drei oder vier Tage unternommen habe, und zwar immer nur mit einem der Kinder – wir haben drei –, um zu signalisieren, das ist eine Zuwendung, die ausschließlich dir gilt. Das habe ich ein paarmal sowohl mit meinen beiden Töchtern wie mit meinem Sohn gemacht. Aber ich muss meiner Frau das große Kompliment machen, dass sie für einen guten Start dieser drei Kinder weit mehr getan hat als ich.
    Schmidt:   Das kann ich gut verstehen. Das ist mit meiner einzigen Tochter ganz genauso.
    Steinbrück:   Es ist natürlich zu respektieren, wenn die Frau oder der Mann oder insgesamt die Familie sagt, wir tragen dein Politikerleben nicht mit, und es ist auch zu respektieren, wenn Politiker wie der neue Wirtschaftsminister sich vornehmen, mit 45 auszusteigen – nur würde ich das nicht öffentlich sagen. Das wäre für mich eine Entscheidung, die ich im Stillen treffe, aber ich würde damit nicht öffentlich herumwedeln. Natürlich gehen einem bei der Bewerbung um ein politisches Amt mancherlei Gedanken durch den Kopf, Fragen nach den Auswirkungen auf die Familie und das Privatleben. Die spielen eine erhebliche Rolle, und sie spielen eine umso größere Rolle, je älter man ist. Die Frage etwa: Wie stellst du dir eigentlich den letzten Abschnitt deines Berufslebens vor? Seit ich einfacher Abgeordneter bin, mache ich neue wunderbare Erfahrungen: Was ich da an Freiheit gewonnen habe, an Zeitsouveränität, das habe ich über die letzten zwei Jahrzehnte nicht gekannt.
    Schmidt:   Das fällt unter die Zweifel, von denen schon die Rede war.
    Steinbrück:   Richtig, und meine Antwort ist zweigeteilt. Da ist zum einen die Frage, ob man sich in die Pflicht nehmen lassen muss oder ob man ausweichen darf. Ich habe mal an anderer Stelle gesagt, man macht sich auch nicht einfach vom Acker. Zum andern spielt natürlich auch die Herausforderung eine Rolle, oder besser im Konjunktiv: Könntest du diese Herausforderung meistern, ja oder nein? Der Anspruch, den ich an jeden Bewerber um ein politisches Amt richten würde, hat übrigens weniger mit seinen Visionen zu tun. Was mich viel mehr interessiert,

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