Zug um Zug
gekostet. Niemand hat davon erfahren, aber ich habe etwas verhindert, was lebensgefährlich war für die Nation. Darauf war ich stolz, und darauf bin ich heute noch innerlich stolz.
Steinbrück: Meine Kinder haben mich mal gefragt: Was, glaubst du, wird aus vier Jahren Bundesfinanzminister bleiben? Und erzähl uns jetzt nicht etwas über das Krisenmanagement der Jahre 2008/2009, da haben wir schon die Noten, das können wir alles singen. Und meine Antwort war: die Schuldenbremse im Grundgesetz auch gegen Widerstände und Missverständnisse mit durchgesetzt zu haben. Und mir fällt etwas Zweites ein, worüber ich einen gewissen Stolz empfinde: Ich habe ein ziemlich hoch dotiertes Programm zur Förderung des Ehrenamtes und des Stiftungswesens durchgesetzt. Alle haben sich gefragt, warum ausgerechnet derjenige, der auf der Kasse sitzt, bereit gewesen ist, für das Stiftungswesen und für das Ehrenamt in Deutschland Gelder bereitzustellen beziehungsweise auf Einnahmen zu verzichten.
Schmidt: Was die Schuldenbremse im Grundgesetz angeht, war ich nicht von Anfang an überzeugt.
Steinbrück: Sie müssen es im Vergleich zu dem sehen, was vorher dastand. Es stand vorher in den beiden Artikeln 109 und 115 eine Formel im Grundgesetz, die spielend übergangen werden konnte durch eine Regierung. Sie musste nur die Abwehr des sogenannten gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichts ausrufen, und schon konnte sie sich neu verschulden. Die meisten Regierungen, sozialdemokratische eingeschlossen, sind zwar vielleicht Anhänger von Keynes, aber sie haben Keynes immer nur halb verstanden. Sie haben Keynes richtig verstanden, wo er sagt: Einem Konjunktur- und Wachstumseinbruch muss man ein Deficit Spending entgegensetzen, um den Motor wieder anzukurbeln. Aber den zweiten Teil von Keynes, wo er nämlich sagt, dass in den besseren Zeiten diese Schulden wieder zurückzuzahlen sind, den haben sie nicht begriffen – und das gilt durchgängig für Regierungen jedweder Couleur in den letzten dreißig bis vierzig Jahren. Neulich las ich, dass konservative Regierungen zwar noch mehr Schulden angehäuft haben als sozialdemokratische, dass aber der Verdacht sich erstaunlicherweise immer gegen die Sozialdemokratie richtet.
Im Grundgesetz einen Mechanismus zu verankern – der übrigens dem Mechanismus des Stabilitäts- und Wachstumspakts auf europäischer Ebene folgt –, der einen konjunkturellen Impuls in schlechten Zeiten durchaus erlaubt, aber anschließend einen Zwangsmechanismus ausübt, dass die darüber aufgenommenen Schulden beglichen werden, und dann einen sehr begrenzten Rahmen für eine strukturelle Verschuldung setzt – das ist neu. Ich gebe zu: Mit Vorsatz kann man natürlich selbst das versuchen auszuhebeln, deshalb will ich gar nicht so tun, als ob das eine hundertprozentig und lupenrein abgesicherte Lösung ist, die Flucht vor Verteilungskonflikten durch eine Neuaufnahme von Schulden zu verhindern. Aber es ist allemal besser als das, was der Status quo ante war.
Schmidt: Wann wurde die Gesetzesänderung beschlossen?
Steinbrück: Sommer 2009.
Schmidt: Für mich war im Jahre 2009 absolut undurchsichtig, was in der Welt insgesamt an Konsequenzen zweiter und dritter Kategorie sich noch ergeben würde aus der Finanzkrise in Manhattan, die sich buschfeuerartig über die ganze Welt ausgebreitet hatte. Was Sie eben gesagt haben über die zweite Hälfte Keynes und über die Schuldenbremse, ist alles richtig, kann ich alles unterschreiben. Es sind aber auch heute, 2011, weltweite oder jedenfalls europaweite Entwicklungen nicht unvorstellbar, die dazu führen könnten, dass Staaten sich über ihre eigene Finanzverfassung hinwegsetzen. Ob es zum Beispiel eine solche Schuldenbremse gegeben hat in der spanischen Verfassung, weiß ich nicht – in der griechischen, in der portugiesischen, in der irischen Verfassung, weiß ich nicht. Aber ganz gewiss weiß ich: Wenn es solche Vorschriften dort gegeben hat, dann haben diese vier Staaten ihre Vorschriften übertreten. Die Vorstellung, dass Deutschland allein eine Insel der Solidität darstellen kann, die allerdings halte ich für illusionär.
Steinbrück: Die Schuldenregel sieht ja durchaus die Möglichkeit vor, bei einem massiven ökonomischen Einbruch – die Rede ist von sogenannten Notsituationen – den Staat handlungsfähig zu halten. Eine solche Notsituation wäre übrigens eingetreten, wenn die Patronatserklärung, die damals die Bundeskanzlerin und
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