Zug um Zug
dass alle Kapitalanleger gerne Noten haben wollen über die Produkte oder Institute, die sie kaufen oder bei denen sie sich engagieren, und deshalb auf diese Ratingagenturen gucken. Wir sind in Europa bisher nicht in der Lage gewesen, eine eigene Ratingagentur aufzubauen, und daher in Abhängigkeit von drei amerikanischen Ratingagenturen, die dann ganze Nationalstaaten abwerten – obwohl diese zum Teil erhebliche Anstrengungen zur Konsolidierung ihrer öffentlichen Finanzen unternehmen – und damit die Spiralbewegung immer weiter nach unten treiben. Die Alternative lautet allerdings: Wenn man denen versucht auszuweichen und gar keine Bewertung und Benotung mehr hat, dann wird es auch keine Kapitalinvestoren mehr geben, die sich in diesen Ländern engagieren. Die Agenturen sind durch nichts demokratisch legitimiert, sie bewegen sich in ihrem eigenen Regelkreis, ziemlich willkürlich, aber trotzdem geben sie den Ton an. Und ich weiß bis heute nicht genau, wie dies zu durchbrechen ist. Im Fall Griechenlands habe ich schließlich empfohlen, das Urteil dieser Priesterschaft schlicht zu ignorieren, um politisch handlungsfähig zu bleiben.
Schmidt: Eine Ratingagentur müsste im Prinzip wie ein Frühwarnsystem funktionieren, aber die drei Rating Agencies, die Sie eben erwähnt haben, erfüllen diese Leistung nicht. Ein Grundübel ist, dass sie ihr Einkommen von denen beziehen, die sie bewerten sollen. Das ist eine fundamentale Fehlkonstruktion. Wenn sie zum Beispiel vom Steuerzahler finanziert wären und wären unabhängig, wäre mein Vertrauen etwas größer. Wenn sie reguliert wären, wenn es eine Aufsicht gäbe – so wie man eine Bankenaufsicht hat oder eine Versicherungsaufsicht –, wäre mein Vertrauen auch ein bisschen größer, als es heute ist. Mein heutiges Vertrauen ist beinahe null.
Steinbrück: Ich setze noch einen drauf: Ihr Interessenkonflikt bei den damaligen verbrieften Produkten ist sogar noch stärker gewesen, indem sie bei der Strukturierung dieser Produkte dabei waren, die sie anschließend bewertet haben. Solange es keine europäische Ratingagentur gibt, sehe ich nur die Alternative, dass die Europäische Zentralbank als unabhängige Institution in den Stand versetzt wird, eine Art Benotungssystem zu entwickeln. Die EZB wäre nicht interessengeleitet – jedenfalls nicht, solange sie keine Staatsanleihen eventuell über Wert kaufen muss. Gegenwärtig hat auch sie Marktinteressen.
Schmidt: Und gleichzeitig sollte mit dem Inkrafttreten dieser Regelung, so weit das deutsche Recht reicht, verboten werden, dass das Urteil einer privaten amerikanischen Rating Agency dem Gutachten einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zugrunde gelegt wird. Die gesamte Bankenaufsicht in Deutschland ist hereingefallen auf diese verdammten Rating Agencies. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Ihnen, Peer, das liegt vielleicht zwei oder drei Jahre zurück, da habe ich Ihnen gesagt: Von Rechts wegen müssten Sie den Chef der Bankenaufsicht ablösen. Können Sie sich erinnern? Können Sie sich an Ihre Antwort erinnern?
Steinbrück: Nee.
Schmidt: Ihre Antwort war: Wo kriege ich einen her, der besser ist – bei der Bezahlung?
Steinbrück: Das ist ein Problem, und es gilt für alle Beschäftigten der BaFin. Die haben es zu tun mit Leuten, die das Sechs- bis Achtfache wie sie oder mehr verdienen; wenn sie gut sind, werden sie übrigens abgeworben, das ist wie auf dem Bundesligaspielermarkt. Ich glaube, der Chef der BaFin wird bezahlt in der Beamtenbesoldung B 10 und ist natürlich überhaupt nicht auf Augenhöhe mit denjenigen, die er beaufsichtigen soll.
Schmidt: Das heißt, er ist so hoch bezahlt wie ein Staatssekretär.
Steinbrück: Das ist zutreffend. Ihre Tochter Susanne erzählt in ihrem Buch über die Londoner Bankenwelt, wie lästig es war, wenn ein Mal im Jahr die Bankenaufsicht kam, weil man diesen armen Kerlen immer erst erklären musste, worum es eigentlich ging, und dass sich jeder in der Belegschaft davor drückte, mit denen die Bücher durchzugehen.
Schmidt: Und dann noch mit ihnen essen zu gehen!
Steinbrück: Wobei man hinzufügen muss, einiges ist ja doch auf den Weg gebracht worden. Ich gebe sofort zu: nicht hinreichend. Aber es ist eine grenzüberschreitende europäische Aufsicht mit neuen Einrichtungen etabliert worden, die seit Anfang des Jahres arbeiten: eine Aufsicht für Wertpapiere, für Aktien, für Versicherungen – deutlich
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