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Zug um Zug

Zug um Zug

Titel: Zug um Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt / Peer Steinbrück
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Investmentbank Lehman Brothers pleitegehen lassen würde. Der davon ausgehende Schock hat dann die globale Bankenkrise ausgelöst. Wenn der Paulson das nicht gemacht hätte, dann wäre allerdings ein halbes Jahr oder ein Jahr später bei einer anderen Bank der gleiche Fehler dann doch gemacht worden.
    Steinbrück:   Da bin ich nicht sicher. Der größte Versicherungskonzern der Welt AIG hing nur 36 Stunden später in den Seilen. Wir reden über das Datum 15. September 2008 – Lehman – und Mittwoch, 17. September 2008 – AIG. Der Punkt ist, dass die Amerikaner AIG im Gegensatz zu Lehman stabilisiert haben. Das Problem für politisch Verantwortliche ist, dass sie zwischen relativen Nachteilen wählen müssen – in diesem Fall: Soll eine Bank pleitegehen oder stabilisiert werden? – und erst hinterher wissen, auf welcher Seite die größeren Nachteile gelegen haben. Sie müssen innerhalb kürzester Zeit entscheiden, bei unvollständigen Informationen, und dafür die Verantwortung übernehmen. Das ist der Unterschied zwischen Politikern und Journalisten, die anschließend über Untersuchungsausschüsse berichten.
    Schmidt:   Journalisten wissen auch erst hinterher alles besser. Aber warum halten Sie Ihre IKB-Entscheidung im Rückblick nicht für richtig? Wurde sie nicht durch die Folgen der Lehman-Pleite gerechtfertigt?
    Steinbrück:   Na ja, die IKB hatte eine Bilanzsumme vielleicht von 60 Milliarden Euro – da konnten die Erschütterungen und die damit verbundenen Abschreibungen nicht so überwältigend sein. Die Summe wussten wir aber erst hinterher. Alle – Josef Ackermann von der Deutschen Bank, der damalige Vorstandsvorsitzende der Commerzbank und Präsident des Bundesverbands deutscher Banken, Klaus-Peter Müller, oder insbesondere auch Axel Weber, dessen Urteilsfähigkeit ich immer Tribut gezollt habe –, sie alle kamen zu dem Ergebnis, dass eine Insolvenz der IKB sehenden Auges unverantwortlich wäre, weil Sparkassen, Berufsgenossenschaften, Genossenschaftsbanken, Versicherungen Einlagen in der Größenordnung von vielleicht 20 oder 25 Milliarden Euro bei dieser Bank hätten und die Wertberichtigung eine Erschütterungsdynamik auslösen würde. Der Rat war, dass ich dafür nicht die politische Verantwortung übernehmen sollte.
    Schmidt:   Worin hatte die IKB sich verspekuliert?
    Steinbrück:   In verbrieften Produkten vornehmlich mit US-Hypotheken, bis zur Halskrause – und zwar außerhalb der Bilanz.
    Schmidt:   Ich habe damals die Meinung vertreten – das war im Jahr 2007 –, dass es dringend notwendig wäre, den Banken zu verbieten, sogenannte »strukturierte Produkte« und sogenannte »Wertpapiere« zu handeln, es sei denn, dass sie einen offiziellen Kurs an einer offiziellen Börse hätten. Die Finanzprodukte, von denen Sie sprechen, waren höchst komplizierte Wertpapiere, die die Händler selber kaum verstehen konnten, die Vorstände auch nicht, und von denen niemand wusste, was sie morgen wert sein würden, weil sie gar keinen Kurs hatten.
    Steinbrück:   Absolut richtig.
    Schmidt:   Eines der erstaunlichsten Phänomene der letzten Jahre ist ja, dass die Bankvorstände nicht mehr wussten, was ihre Händler machten. Und dass die Händler zum Teil auch in großem Maßstab ihre eigenen Bankvorstände hinters Licht geführt haben. In einem Fall ist das aufgefallen, bei dem Nick Leeson in Singapur; aber in den meisten Fällen konnten die Bankvorstände es gar nicht mehr merken. Das ist so ähnlich, wie wenn ein Regierungschef nicht mehr weiß, welche Kriege seine Generale anzetteln. Die großen Fonds aller Art und die Zweckgesellschaften aller Art außerhalb der Bilanz der jeweiligen Mutterbank und die Bankvorstände selber – niemand wusste, was die Händler und ihre Computer in großer Geschwindigkeit machen. Und die Händler sind in Wirklichkeit eine psychisch labile Masse. Ich vergleiche sie immer mit den Schafen auf dem Deich zu Husum. Wenn ein Schaf anfängt, in eine Richtung zu rennen, rennen gleich drei Schafe hinterher, und plötzlich rennen alle hundert Schafe in dieselbe Richtung. Das ist das, was wir hier erlebt haben. Alle Schafe rennen in dieselbe Richtung. Oder alle Gänse. Das Schlimme ist, dass sie heute alle wieder dasselbe machen, in Wirklichkeit haben sie nichts gelernt. In Wirklichkeit spielen schon wieder diese Ratingagenturen eine Rolle, als ob sie die Regierung wären.
    Steinbrück:   Das ist inakzeptabel, gebe ich zu. Der Punkt ist aber,

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