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aufzuweisen. Der Mann stammte aus Island, hatte eine qualifizierte Berufsausbildung als Baumeister vorzuweisen und war seit Jahren mit Planung und Aufbau einer großen Hotelanlage in Algerien beschäftigt. Was ihn plötzlich aus der Bahn warf, ob es mit seinem Auslandsaufenthalt oder privaten Problemen zu tun hatte, ich weiß es nicht. Auch in den Presseberichten hieß es später, dass es keine Anhaltspunkte für seine Motive gebe. Wir erfuhren lediglich, dass Interpol ihn wegen Urkundenfälschung, Diebstahls und Betrügereien suchte und dass bereits eine rechtskräftige Verurteilung vorlag.
Jedenfalls tauchte Aron S. plötzlich bei seiner Freundin in München auf. Schon nach kurzer Zeit fiel der jungen Frau auf, dass er verändert schien. Er wirkte verschlossen, redete kaum und interessierte sich für nichts, was um ihn herum vorging. Nach drei Tagen bat er seine Freundin ohne Angabe von Gründen oder nähere Erläuterungen, ihm ein Hotelzimmer zu besorgen, doch schon nach einer Nacht zog er wieder aus, ohne zu bezahlen. Es war der Anfang von vielen sprunghaften, nicht nachvollziehbaren Entscheidungen.
Zunächst einmal verließ er das Hotel in Harlaching und fuhr in den nahen Stadtteil Giesing. Betrat dort ein offenbar zufällig ausgewähltes Haus, läutete an einer beliebigen Wohnungstür. Vor ihm stand eine ältere Frau, die Hausmeisterin des Anwesens. Wieder geschah Sinnloses. Aron S. brachte sie durch Drohungen dazu, ihm nach draußen zu folgen, versuchte ihr dort den Schlüsselbund zu entreißen, gab aber sofort auf, als der Ehemann auftauchte. Dem drückte er fast wie zur Entschuldigung einen 100- DM -Schein in die Hand und verschwand, bevor sich der andere von seiner Überraschung erholen konnte.
Als Nächstes stellte sich Aron S. einem Autofahrer in den Weg, der nach Salzburg wollte. Weil dieser sich weigerte, ihn mitzunehmen, griff er den Mann an, entriss ihm die Zündschlüssel. Verlor jedoch sofort das Interesse an dem gekaperten Wagen, warf die Schlüssel zu Boden und rannte davon, stoppte ein paar Straßen weiter ein anderes Fahrzeug. Die Sache wurde immer verrückter. Diesmal ließ er sich zur nächsten Polizeistation fahren, stieg aber dort nicht aus, sondern zog erneut einen Hunderter aus seiner Brieftasche. Für seinen » Chauffeur«, wie er sagte. Als der Autofahrer das Geld ablehnte, stieg Aron S. aus. Dass er eigentlich zur Polizei wollte, schien er vergessen zu haben. Er wechselte auf die andere Straßenseite, bog in eine kurze Straße ein und verschwand in einem Hinterhof.
Jetzt wurde er zum ersten Mal wirklich gefährlich, denn er beschränkte sich nicht länger auf verbale Drohungen. Durch eine geöffnete Tür betrat er eine ihm völlig fremde Wohnung und hielt dem Bewohner ein Messer mit einer 15 Zentimeter langen Klinge vor die Nase. Er nahm sich etwas zu essen aus dem Kühlschrank, trank ein Bier sowie einen Schnaps und zerrte dem verschreckten Mann seine braune Lederjacke vom Körper. Warum, das wusste auch später niemand zu sagen. Um Geld ging es eher nicht. Vermutlich kippte seine psychische Verfassung in diesem Moment vollends. Dazu passte, dass er sein Opfer zwang, mit ihm auf den Sims des geöffneten Fensters im Hochparterre zu steigen, das Messer unmissverständlich an dessen Hals. Zum Glück bewies der Mann in diesem Moment Geistesgegenwart und stieß den Verrückten blitzschnell vom Fensterbrett.
Zum vierten Mal an diesem Morgen machte sich Aron aus dem Staub, rannte zurück zur Straße. Dort schnappte er sich einen 57-jährigen Bibliothekar und bedrohte ihn mit seinem Messer. Ohne ihn loszulassen, ging er mit ihm zu einem gerade einparkenden Auto, einem alten Volvo, stieß die Fahrerin aus dem Wagen und schob seine Geisel auf den Beifahrersitz. Der Frau gelang es gerade noch, ihr Kleinkind vom Rücksitz zu zerren, als Aron S. auch schon den Wagen startete und davonfuhr, die linke Hand auf dem Lenkrad, die rechte mit dem Messer unverändert an der Kehle des Bibliothekars.
Inzwischen lief die Fahndung nach ihm bereits, und auch das SEK war alarmiert worden. Zahlreiche Personen, Opfer und Zeugen, meldeten sich im Laufe des Vormittags über den Notruf der Polizei und schilderten ihre Erlebnisse. Ein klares Bild kristallisierte sich allerdings nicht heraus. Schließlich entdeckte ein Streifenpolizist auf einem Motorrad das gesuchte Fahrzeug im Stadtteil Neuhausen. Der junge Mann bewies Mut und Reaktionsvermögen. Neben dem Volvo fahrend versuchte er durch das geöffnete Fenster
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