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Titel: Zugriff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Pallay
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hochriss. Er schrie: » Helft ihm!« Und ich registrierte, wie Aron S. sich offenbar zu allem entschlossen über die Geisel beugte, das Messer drohend in der Hand. Trotz aller Professionalität brach so etwas wie Panik aus. Notarzt und Sanitäter, die bislang neben dem Polizeipsychologen gestanden hatten, wichen zurück. Dann war ein Wimmern zu hören: Der Geiselnehmer setzte das Messer im oberen Schulterbereich seines Opfers an, um die Weichteile in Richtung Herz zu durchstechen.
    Entsetzen, Angst, Schrecken fielen von mir ab. Ich wusste, jetzt musste ich handeln, denn genau das war die Situation für einen Notzugriff, in der nicht mehr lange nach der besten Schussposition gesucht werden konnte. Sofort, auf der Stelle war mein Eingreifen gefordert, sonst würde die Geisel vermutlich sterben. Ich zog die Waffe, machte zwei große Schritte nach vorne, beugte mich über den Fensterrand und drückte zweimal ab, alles innerhalb von Sekunden. Nur gedämpft vernahm ich die Schüsse.
    Anschließend wurde es still, totenstill fast. Zumindest empfand ich das so. Ein Kollege rief: » Notarzt!«, während ein anderer die Geisel aus dem Fahrzeug zog. Der Bibliothekar stand sichtlich unter Schock und hatte sich eine Schnittverletzung zugezogen, als er sich in Todesangst gegen das Messer wehrte. Zwei andere meiner Leute fixierten durch das geöffnete Fenster die Hände des Täters. Vorsorglich. Dass er handlungsunfähig war, hatte ich gleich nach Abgabe der Schüsse gesehen. Nicht allerdings, wie schwer verletzt er war und dass er kaum noch atmete. Der Notarzt riss ihm das Hemd vom Leib, begann mit der Reanimierung, doch er starb, bevor der Krankenwagen die Klinik erreichte.
    Ich stand benommen neben dem Volvo, die Pistole in der Hand, reichte fast automatisch einem Kollegen meine Waffe zur Sicherstellung. Ich weiß nicht einmal mehr, um wen es sich handelte. Wie durch eine Nebelwand hörte ich eine Stimme: » Gut gemacht!« Ja, schon und zugleich nicht! Natürlich freute ich mich, dass die Geisel unversehrt befreit werden konnte, aber der Rest? Das blieb immer eine schwierige Geschichte. Ich erinnere mich, dass ich meine Entscheidung zu begründen versuchte, weil es aus meiner Sicht keine Alternative zum finalen Rettungsschuss gegeben habe. » Ich glaube, dass sich der Täter in der Schlussphase seitlich auf die Geisel zudrehte und sie zu töten versuchte«, sagte ich zu meinem Chef. Was der Bibliothekar übrigens später bei seiner Vernehmung bestätigte. Er sagte aus, Aron S. habe ihm kurz vor dem Zugriff erklärt, dass er sterben müsse, und so sei er unendlich erleichtert gewesen, als der Druck um seinen Hals nach den Schüssen plötzlich nachließ.
    Noch auf dem Weg zurück zur Dienststelle spulte ich die Ereignisse in meinem Kopf ab wie einen Film, bei dem man eine Sequenz ständig wiederholt. Objektiv gesehen bestanden keine Zweifel. Meine Vorgehensweise war absolut korrekt und entsprach genau dem, was in einer solchen Situation von uns erwartet wurde: Das Leben eines unschuldigen Menschen grundsätzlich zu schützen, wie es auch im Grundgesetz verankert ist. Juristisch also einwandfrei, und die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Handelns war schnell abgehakt. Was blieb, das waren die psychische Belastung und das eigene Gewissen.

Rückblickend erscheint es mir, als sei das damals der Herbst der Geiselnahmen in München gewesen, denn etwa drei Wochen nach dem gefährlichen Amoklauf bekamen wir es mit der nächsten Geiselnahme zu tun.
    Allerheiligen stand bevor, ein Feiertag, der in Bayern mit einer Woche Schulferien verbunden ist, und die ganze Familie freute sich bereits auf einen Kurzurlaub in Südtirol. Meine beiden Kinder packten schon eifrig ihre Sachen, denn wir wollten am nächsten Morgen ganz früh über den Brenner Richtung Italien starten. Seit Jahren verbrachten wir immer wieder zwischen Bozen und Meran erholsame Wandertage, genossen das um diese Zeit südlich des Alpenhauptkamms meist schöne Wetter und die gute Südtiroler Küche. Doch es sollte anders kommen. Wieder einmal.
    Kurz nach eins in der Nacht ertönte das schrille Pfeifen meines Alarmgeräts. Obwohl ich keine Hausbereitschaft hatte, war der Empfänger eingeschaltet. SEK -Angehörige sollten stets erreichbar sein, insbesondere natürlich die Führungskräfte. Anders als die Hausbereitschaft, die mindestens 14 Mann umfasste und innerhalb einer Stunde parat zu stehen hatte, konnte ich mir zum Glück etwas mehr Zeit lassen. Dachte ich zumindest.
    Nicht

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