Zugriff
Zündmechanismus nicht mehr auslösen ließ. Zwei Kollegen würden ihm zur Hilfe kommen und die Notzugriffskräfte zeitgleich vom Häftlingsgang in die Zelle eindringen, um die Bombe vom Hals des Opfers zu reißen und sie anschließend durch Kappen des Verbindungsdrahts zu entschärfen. Ein guter Plan, so schien es, und ein machbarer dazu. Das fand auch der Polizeiführer und stimmte zu. Ich wiederholte die Freigabe über Funk, nachdem ich die Sache selbst nochmals überdacht hatte.
Um 19.50 Uhr wurde es ernst. Ich sah, wie unser Nahkampfspezialist in Richtung Besucherzelle ging. Leger gekleidet und die Hände auf die Hüften gestützt näherte er sich der geöffneten Tür. Hinter meiner Panzerverglasung verstand ich zwar kein Wort, sah jedoch anhand seiner Gesten, dass er die beiden Justizangestellten wegschickte. Gut so, denn das hier war nicht gerade ein sicherer Ort. Zudem brauchten die nachfolgenden Einsatzkräfte Platz. Ich sagte noch: » Aktion läuft!«, dann herrschte erst einmal Funkstille. Was würde geschehen?
Kaum hatte ich mir diese Frage gestellt, da stürzte unser Mann schon mit nach vorne ausgestreckten Armen in die Besucherzelle. Und gleich darauf sah ich einen Feuerball. Die Bombe war explodiert, unser Plan gescheitert. » Zugriff, Zugriff!«, schrie ich ins Mikrofon und rannte in den Gang hinaus. Obwohl unser Nahkämpfer die Faust des Täters umschlossen hielt, war es zur Zündung der Bombe gekommen. Schnell stieß er B. weg und riss den noch schwelenden Sprengsatz vom Körper des Rechtsanwalts. Die gleichzeitig eindringenden Zugriffskräfte deuteten das Geschehen leider falsch, verwechselten das Opfer mit dem Täter und fassten den armen Anwalt recht unsanft an. Zusätzlich zu seinen Verbrennungen durch die Explosion erlitt er durch die Attacke schmerzhafte Prellungen, denn es dauerte eine Weile, bis unsere Männer ihren Irrtum bemerkten.
Franz S. äußerte sich im Nachhinein nicht gerade lobend über die Aktion. Obwohl sie seiner Befreiung diente, stand bei ihm der Ärger über das Missverständnis und seine Verletzungen im Vordergrund. Verständlich vielleicht. Dass sich die Presse begierig auf die Panne stürzte, durfte nicht verwundern und war ihr gutes Recht. Wir erfuhren halt einmal mehr, dass auch eine erfolgverwöhnte Elitetruppe gelegentlich Nackenschläge einstecken musste.
Jerko B., der reglos in einer Ecke lag, ließ sich widerstandslos festnehmen. Offenbar kapierte er sofort, dass es aus war für ihn. Ich gab die üblichen Anweisungen: » Opfer in Sicherheit bringen, Täter entkleiden und fesseln, Kleidung und Zünder für die Tatortarbeit vor Ort belassen.« Entgegen unseren Befürchtungen trug der Albaner nichts Gefährliches mehr am Körper: keinen weiteren Sprengsatz und keine Waffe.
Später erfuhren wir von unseren Spezialisten, wie die Bombe überhaupt hätte gezündet werden können. Es handelte sich tatsächlich um eine Aktivzündanlage, die folgendermaßen konstruiert war: Zwei Einwegfeuerzeuge und ein erhebliches Schwefelgemenge aus unzähligen Streichholzköpfen bildeten den Brandsatz, der durch einen Draht über den Kugelschreiber mit der Batterie verbunden war. Am Kugelschreiber, dem Kernstück des Zündmechanismus, hing eine Schlaufe, in die Jerko B. wohl vorsorglich einen Finger gesteckt hatte. Als der Zugriff erfolgte, zog er einfach daran, und ein Kontaktstück fiel heraus. In diesem Moment wurde die Zündung ausgelöst. Nicht vorzustellen, was alles hätte passieren können, wenn etwa die Sprengkraft der Bombe stärker gewesen wäre. Und so waren wir letztlich froh, dass uns Schlimmeres erspart geblieben war.
Obwohl an jenem Tag in der JVA Stadelheim sicherlich nicht alles nach Plan lief, fanden eine spektakuläre Geiselnahme und ein hochkomplizierter Zugriff ein glimpfliches Ende.
Ich hatte noch unsere wilde Verfolgungsfahrt durch Schwabing, ausgelöst von einer verwirrten Geiselnehmerin, in lebhafter Erinnerung, als wenige Monate später eine ähnliche Geschichte passierte. Nur um einiges gefährlicher, weil der Täter zu allem entschlossen schien und im wahrsten Sinne des Wortes Amok lief. Dabei legte er völlig irrationale und irre Verhaltensweisen an den Tag, die ihn eher als psychisch zutiefst gestörten Menschen zeigten denn als eiskalten Killer. So oder so stellte er eine enorme Gefahr dar.
Bis zu diesem Tag, als er außer Kontrolle geriet und mehrere Unbeteiligte bedrohte, schien die Biografie des 35-Jährigen keine besonderen Merkmale oder Brüche
Weitere Kostenlose Bücher