Zugriff
Kontakt mit dem Isländer herzustellen. Allerdings vergeblich, denn Aron S. reagierte nicht.
Immerhin konnte der Polizist über Funk fortan Standortmeldungen durchgeben und seine Beobachtungen schildern. So wussten wir bereits, dass die Geisel ständig ein Messer an der Kehle hatte. Nur kurzfristig beim Schalten würde Aron S. die Hand wegnehmen. Zwischenzeitlich waren bereits zahlreiche Streifen bemüht, dem Fluchtfahrzeug den Weg zu versperren. Nur dass niemand wusste, wohin der Verrückte sich wenden würde. Zwei Wagenbesatzungen lagen mit ihren Vermutungen schließlich richtig und blockierten eine stark befahrene Kreuzung zwischen den Stadtteilen Neuhausen und Pasing.
Der Volvo kam zum Stehen. Erneut war die Motorradstreife zur Stelle. Der junge Polizist, der dem Geiselnehmer wie ein Schatten gefolgt war, redete noch einmal beruhigend auf den Isländer ein, wollte ihn zum Aufgeben bewegen. Inzwischen war auch der zuständige Polizeiführer zur Stelle, klinkte sich in die Bemühungen ein. Doch sobald jemand dem Fahrzeug zu nahe kam, verstärkte Aron S . den Druck mit dem Messer auf den Hals seiner Geisel.
Eine schreckliche Situation für das Opfer. Erschwerend kam hinzu, dass der Mann erst vor Kurzem einen Schlaganfall erlitten hatte und dringend Medikamente brauchte. Hilfe suchend wandte er sich flüsternd an den Motorradpolizisten, der dem Isländer die Sache auf Englisch erklärte. Überraschend für alle erlaubte er, dem Bibliothekar die Tabletten zu bringen. Weitere Zugeständnisse waren nicht drin. Eine Lösung der Geiselnahme auf dem Verhandlungsweg rückte in immer weitere Ferne.
Wir hörten über Funk die Meldungen der Polizeikollegen mit und waren daher einigermaßen im Bilde. Unser Kommandoführer hatte gleich nach der Alarmierung alle anwesenden Einsatzkräfte zusammengetrommelt. Allerdings fehlte eine ganze Gruppe – ausgerechnet die Präzisionsschützen, die man bei einer gewaltsamen Geiselbefreiung gerne in der Nähe wusste. Sie hielten sich zur Schießausbildung auf dem Truppenübungsplatz der Bundeswehr in Freising auf.
Es musste also zunächst ohne sie gehen. Die Mitglieder der Führungsgruppe, zu der ich als damaliger Leiter der Spezialeinsatzgruppen ebenfalls gehörte, versammelten sich im Einsatzraum der Dienststelle. Aber es brauchte keine großen Absprachen, jeder kannte seine Aufgabe und wusste, was er zu tun hatte. Alle schnappten sich ihre Einsatztaschen mit der kompletten Ausrüstung – Schutzweste, Helm, Waffe und Funkgerät – und eilten zu den ihnen von mir zugeteilten Fahrzeugen. Dann ging’s los Richtung Pasing, entsprechend der letzten Positionsdurchsage. Unterwegs erfuhren wir, dass aus der mobilen Lage eine stationäre geworden war. Sollte uns recht sein, denn nichts is t s o unkalkulierbar wie ein Zugriff auf ein fahrendes Auto.
Als wir ankamen, sahen wir den Volvo auf der Kreuzung vor einer Ampel stehen, davor die Einsatzfahrzeuge, die ihn an der Weiterfahrt hinderten. Auch der Motorradpolizist war noch da, schien aber mit seinen Annäherungsversuchen an den Geiselnehmer wenig erfolgreich. Zunächst musste ich mir einen Überblick verschaffen, während meine Leute sich bereits verdeckt aufstellten. Der Einsatzleiter war sichtlich erleichtert über unsere Ankunft. » Ihr habt freie Hand«, begrüßte er uns. » Sagt mir nur, wie ihr den Fall lösen wollt.«
Das wussten wir in diesem Augenblick selbst nicht. Natürlich gaben auch wir Verhandlungslösungen immer den Vorzug, obwohl unsere Spezialität eben die nicht friedliche Beendigung einer Geiselnahme oder einer Entführung war. Trotzdem hieß es bei uns genauso wie bei anderen Einheiten: verhandeln und noch einmal verhandeln. Wir waren froh, inzwischen einen erfahrenen Polizeipsychologen vor Ort zu wissen. Vielleicht hatte er ja mehr Glück bei Aron S.
Unabhängig davon mussten wir unseren Einsatz planen. In diesem Fall bedeutete das als Erstes, einen Notzugriffstrupp aufzustellen, der bei einer akuten Gefährdung der Geisel eingreifen sollte. Nur fehlten zu diesem Zeitpunkt Einsatzkräfte. Kein Problem, meinte unser Kommandoführer: » Du bist der Notzugriff. Du hast Erfahrung.« Mir verschlug es die Sprache, denn normalerweise besteht so ein Trupp aus mindestens acht Mann. Nun sollte ich die Sache zur Not alleine durchziehen. Nun ja, ich schnappte mir meinen Kollegen Lothar und überlegte mir einen Notfallplan. Gleichzeitig besprachen wir die Vorgehensweise bei einem regulären Zugriff: Wir wollten die Messerhand
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