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Titel: Zugriff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Pallay
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blamieren wollten wir uns schließlich nicht.
    Noch einmal überprüften wir gegenseitig unsere Sicherungen. Waren die Karabiner in die Abseilplattform eingehängt? Lief das Seil exakt durch die Bremsvorrichtung? Saß der Sicherheitsgurt? Mehrfach checkten wir durch, bevor ich dem Jochen das Zeichen zum Abheben gab. Um das Gewicht niedrig zu halten und die Manövrierbarkeit zu steigern, war niemand sonst dabei, auch nicht der normalerweise mitfliegende Bordwart. Martin stand vorne links und ich vorne rechts auf den Kufen. Langsam schraubte sich der Hubschrauber hoch, als hätte er eine schwere Last zu tragen. Erst nach etwa zehn Höhenmetern zog der Pilot die Maschine nach vorne, beschleunigte und flog über die Baumwipfel des Englischen Gartens in nördlicher Richtung davon. In einer kreisenden, spiralförmigen Bewegung näherten wir uns von oben der Kirchturmspitze – und standen schließlich etwa 20 Meter über dem Kreuz.
    Mehrmals zeigte ich mit dem Daumen nach unten. Ein Zeichen, dass Jochen tiefer runter musste, ohne den Standort unmittelbar über dem Kreuz zu verlassen. Er hatte sich einen Fixpunkt ausgesucht, den er ständig im Auge behielt. » Weiter, weiter nach unten«, wies ich ihn ein. Martin war jetzt sprungbereit, lehnte sich bereits fast 90 Grad über seine Kufe hinaus, etwa sechs Meter unter ihm das Kreuz. Dann ging es Schlag auf Schlag. Ich gab das Signal für den Beginn der Aktion, und schon hing Martin unter der Maschine, erreichte dynamisch abseilend das Kreuz, streckte die Hand nach der Krähe aus, griff daneben. Er versuchte es erneut, diesmal mit Erfolg. Dafür setzten jetzt unvermittelt die gefürchteten Pendelbewegungen ein, und er musste sich mit dem Fuß vom Kreuz abstoßen. Schon zog Jochen die Maschine auf ein Zeichen von mir hoch, die Gefahr war gebannt, und sicher landeten wir kurz darauf im Englischen Garten.
    Ein gefundenes Fressen für die wartenden Medienvertreter. Einer unter dem Hubschrauber am Seil, einer auf den Kufen stehend. Alles wurde gefilmt und fotografiert, einschließlich toter Krähe. Zum Schluss noch ein kurzes Interview, bei dem es um die Schwierigkeiten des Einsatzes ging, dann Ausrüstung packen und im Auto zurück zur Dienststelle.
    Bevor wir losfuhren, schaute ich noch einmal nach oben. O Gott, das Kreuz stand schief. Keiner hatte es gemerkt. Offensichtlich war es passiert, als Martin sich mit dem Fuß abstützte. Eine peinliche Sache, denn das würde Hochwürden und seinen Schäfchen genauso wenig gefallen wie die tote Krähe. Was nun? Ich beschloss, von meinem Büro aus den Piloten anzurufen und ihm von dem Missgeschick zu berichten. » Wir werden das Kreuz geradebiegen«, meinte der Jochen spontan. » Du kommst gegen Abend zur Staffel, und nach Einbruch der Dunkelheit fliegen wir nochmals die Kirche an. Das sollte aber niemand mitbekommen.«
    Und so machten wir es. Spätabends starteten wir erneut, unter uns die Lichter der Stadt. Eile war geboten, denn schon hörten wir über Funk die Durchsage » Unbekanntes Flugobjekt über München«. Ohne eine Meldung abzusetzen, flogen wir weiter. Jochen dirigierte die vordere rechte Kufe an das verbogene Kreuz heran und schob es in die Senkrechte zurück. Ein gewagtes Unternehmen, doch nach dem zweiten Anstupsen stand das Kreuz exakt so, wie es stehen sollte. Niemand bekam etwas mit, und wir lachen noch heute über die Geschichte.
    Die ganze Aktion, Krähe wie Kreuz, war letztlich eine tolle Übung für uns und eine fromme Tat dazu. Wir optimierten sie zusätzlich, indem wir die kleine Spende des Pfarrers in seinen Opferstock steckten und somit zwei gute Werke an einem einzigen Tag vorweisen konnten.

» Einsatz! Ein 40-jähriger Mann hat auf zwei Polizeibeamte geschossen. Sofort raus zum Ammersee. Näheres dann über Funk.«
    Die Stimme unseres Kommandoführers riss mich aus meinen Gedanken und Planspielen. Ich grübelte gerade an meinem Schreibtisch über den alljährlichen Belastungs- und Orientierungsmarsch nach, der im Sommer stattfand und ein Highlight im SEK -Alltag darstellte. In mehrerer Hinsicht. Bei dem schwierigen 30-Kilometer-Parcours ging es vor allem darum, den tatsächlichen Leistungsstand jedes Einzelnen festzustellen. Sein Orientierungsvermögen im unwegsamen Gelände, sein Teamverhalten, seine Kondition, Ausdauer, Kraft, Flexibilität, Geschicklichkeit und Willenskraft, und zwar unabhängig von Glück und Zufall. Deshalb baute ich jedes Jahr neue Anforderungen und Aufgaben ein: Felswände

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