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überklettern, Flüsse per Seil überqueren und Seen durchschwimmen. Oder Schlauchbootfahrten, komplizierte Hubschraubertransporte und Abseilen von hohen Hindernissen. Nicht jeder war gut auf mich zu sprechen, denn der Parcours war mordsanstrengend, und so mancher kam da definitiv an seine Leistungsgrenze, stand kurz vor einem Kollaps und verfluchte mich.
Beim abschließenden Umtrunk jedoch war alles vergessen, denn da ging es hoch her. Vermutlich der Hauptgrund, warum sich diese Veranstaltungen trotz aller Strapazen großer Beliebtheit erfreuten. Einmal packten in einer oberbayerischen Wirtschaft ein paar unserer Leute die Videokamera aus und stellten geschäftig den Alukoffer mit dem tragbaren Funktelefon auf den Tisch. Was das denn werden sollte, fragte ein leicht angetrunkener Stammgast. Todernst bekam er zur Antwort, wir seien vom Fernsehen und bereiteten eine Castingshow für junge Nachwuchssängerinnen vor. So etwas wie DSDS ( Deutschland sucht den Superstar ), auch wenn es das damals noch nicht gab.
War das ein Hallo! Aus dem ganzen Ort strömten die Dorfschönheiten herbei, präsentierten sich vor unserer Kamera und trällerten ihr Liedchen. Dass da nichts lief, nicht einmal die Kamera, merkten die armen Mädchen nicht. Wer weiß, vielleicht warten sie noch heute auf ein Engagement. Gemein, ich weiß, aber wir hatten einen Heidenspaß. Und das brauchten wir gelegentlich einfach. Wer ständig in Extremsituationen und unter Strom stand, zudem Leben und Gesundheit aufs Spiel setzte, der musste hier und da mal Dampf ablassen. Die verkannten Sängerinnen mögen es uns verzeihen.
An diese Geschichte dachte ich gerade, als mich der Alarm unsanft in die Gegenwart zurückholte. Na schön, morgen war auch noch ein Tag. Ich seufzte, schnappte mir meine Einsatztasche und eilte mit zwei Kollegen in die Tiefgarage. Zu dritt nahmen wir einen Wagen und steuerten mit Blaulicht und Sirene die Autobahn Richtung Lindau an. Es folgten zwei Einsatzgruppen, die sich ebenfalls startbereit auf der Dienststelle befunden hatten. Anlaufstelle war, wie man uns über Funk mitteilte, ein Feuerwehrhaus in einer kleinen Ortschaft im bayerischen Seenland.
Dort erst erfuhren wir die wenigen Fakten, die man bislang kannte. Nachbarn hatten die Polizei alarmiert, weil seit Tagen die Fenster im zweiten Stock eines Anwesens offen standen und das Auto des Besitzers mit geöffneter Tür vor dem Haus abgestellt war. Es handle sich um einen Baron, hieß es. Zwei Streifenpolizisten wurden losgeschickt, um nach dem Rechten zu schauen. Als auf ihr Läuten niemand reagierte, stiegen sie eine Leiter hoch und spähten durch ein Fenster. Entdeckten den Hausherrn, der in seinem Bett lag und völlig apathisch wirkte.
Nachdem allerdings ein herbeigerufener Schlüsseldienst die Tür aufgesperrt hatte und die Männer das Schlafzimmer betraten, wurde der Adelsspross munter. Er zog blitzschnell einen Revolver und eröffnete das Feuer, zum Glück ohne zu treffen. Trotzdem zogen sich die beiden Polizisten schleunigst zurück und baten um Unterstützung. Die Alarmierungsmaschinerie lief auf Hochtouren. Angefordert wurden Spezialeinheiten, Polizeipsychologen, Einsatzzüge, Verkehrskräfte, Diensthundeführer, Waffenexperten, Polizeipressesprecher, ein Notarzt und die Feuerwehr.
Wie erwartet und in solchen Fällen üblich lautete die Order: » Verhandeln, verhandeln und nochmals verhandeln«, doch schon bald wurde klar, dass alle Bemühungen des Psychologen und der Verhandlungsgruppe ins Leere liefen. Ihre Versuche, sich per Telefon und Megafon mit dem Mann in Verbindung zu setzen, scheiterten. In der Zwischenzeit hatte eine SEK -Gruppe das Haus umstellt, eine zweite arbeitete sich leise ins Treppenhaus vor, bezog dort Position und wartete auf Instruktionen. Als drei Stunden verstrichen, ohne dass überhaupt ein Kontakt zustandegekommen wäre, gab der Einsatzleiter den Zugriff frei.
Was ebenfalls nicht unproblematisch war, denn der Herr Baron lag schließlich mit gezogener Waffe im Bett und schien regelrecht auf Eindringlinge zu warten. Da war guter Rat teuer. Wir mussten uns ein genaueres Bild von der Lage machen. Gut geschützt durch Panzerweste und Titanhelm tastete ich mich langsam Schritt für Schritt in Richtung Schlafzimmer vor, lugte im Gang vorsichtig um die Ecke. Dann sah ich ihn. Fast entspannt lag er im Bett, bloß der Revolver in seinen Händen passte ganz und gar nicht ins Bild, denn dessen Mündung war unmissverständlich auf die Zimmertür
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