Zugzwang
dir nicht in die Arme zu laufen.«
Das wäre eine Erklärung, dachte Joshua und sah auf seine Uhr. Halb neun. Noch über drei Stunden Zeit, bis Winnie eintreffen würde. Er stand auf und nahm seine alte Lederjacke von der Garderobe.
»Hörst du dich mal bitte in der Firma dieses Schändlers um? Vielleicht wird da auch samstags gearbeitet. Ich fahre zum Krankenhaus.«
Daniel nickte zustimmend. Joshua spürte schon lange, dass es seinem Kollegen nicht passte, Befehle von ihm entgegenzunehmen. Auch nicht, wenn er sie noch so freundlich verpackte. Joshua setzte noch einen drauf.
»Und sage doch bitte Kalle, Marlies und Viktor Bescheid, wir treffen uns um eins zu einer Besprechung. Du bist natürlich auch eingeladen.«
Der junge Kollege vor dem Krankenzimmer von Rosa Schändler hatte sein Kinn auf die Brust gelegt und döste vor sich hin. Joshua kannte ihn, er war während der Ausbildung einige Wochen in ihrer Dienststelle gewesen. Als er sich räusperte, schoss sein Kopf hoch.
»Sie bewachen das Zimmer von Frau Schändler?«
»Ja … äh, es war keine verdächtige Person hier.«
Joshua klopfte an. Nach einigen Sekunden vernahm er leise Antwort und trat ein. Rosalinde Schändler lag in einem Einbettzimmer. Die Luft war stickig und roch nach kaltem Essen und Medizin. Die Vorhänge waren zugezogen und sorgten für gedämpftes Licht. Schwach und kaum merklich hob sie ihren linken Arm ein Stückchen hoch, um ihrem Besucher einen Stuhl anzubieten.
»Wie geht es Ihnen, Frau Schändler?«
Sie neigte ihren Kopf zur Seite und sah aus dem Fenster. Ihre Blicke wirkten leer, sie hatte glasige Augen, ihre Haut war blass. Leise und in einem gleichmütigen Tonfall antwortete sie ihm.
»Wie geht es einem Menschen, der alles verloren hat? Ich kann nicht einmal mehr heulen. Sie pumpen mich mit Beruhigungsmitteln voll.«
Joshua fühlte sich unsicher. Er fragte sich, wie es mit ihr weitergehen sollte. Ging sie noch zur Schule? War sie in der Ausbildung, studierte sie? Er hatte sich schlecht vorbereitet.
»Frau Schändler, wollen Sie uns helfen, denjenigen zu finden, der Ihnen das angetan hat? Ich kann verstehen, wenn Sie nicht dazu in der Lage sind, meine Fragen …«
»Nein, schon gut. Ich will, dass Sie den Mörder meiner Eltern kriegen. Ich will ihm in die Augen sehen, ihn fragen, warum er das getan hat! Wenn ich Ihnen überhaupt helfen kann, ich habe doch nichts mitbekommen.«
Sie wischte sich mit einem Taschentuch über ihr Gesicht. Ihre Hand zitterte leicht. In ihrem rechten Arm steckte eine Kanüle, die über einen Schlauch mit einem Tropfer verbunden war. Joshua spürte ein Gefühl der Hilflosigkeit beim Anblick der jungen Frau. Er musste an Britt denken. Seine Tochter war nur wenige Jahre jünger.
»War in der letzten Zeit jemand bei Ihnen, um nach der Alarmanlage zu sehen?«
Rosa sah ihn verwundert an.
»Stimmt, die Alarmanlage. Wieso ging sie nicht an? Papi war so stolz darauf. Er sagte, uns könne niemals etwas passieren.«
Joshua sah ihr in die Augen. Sie schien sehr nachdenklich zu sein.
»Ja, letzte Woche Donnerstag war jemand da. Meine Mutter hat ihn hereingelassen. Er musste die Alarmanlage kontrollieren, routinemäßig. Ich war in meinem Zimmer, habe es nur am Rande mitbekommen.«
»Haben Sie den Monteur gesehen?«
»Nein, aber er kam mit einem Wagen der Firma, die unsere Anlage eingebaut hat, Lensing Gebäudeschutz. Ich habe ihn auf dem Hof stehen sehen.«
»Wusste Ihr Vater davon?«
»Das nehme ich an. Er kam erst am nächsten Tag von einer Geschäftsreise zurück. Obwohl … ich weiß nicht, ob Mutti es ihm erzählt hat. Sie waren immer darum bemüht, alles Geschäftliche aus ihrem Privatleben herauszuhalten.«
Ruhig, mit einer beängstigenden Sachlichkeit, beantwortete sie seine Fragen. Nichts schien darauf zu deuten, dass die junge Frau über Nacht aus dem Schoß der Familie gerissen und in einen Albtraum gestürzt wurde.
Joshua notierte sich den Namen der Firma und den Tag. Möglicherweise gab es eine erste Spur.
»Wissen Sie schon, wann … wann sie beerdigt werden?«
»Nein, aber wir werden es Ihnen mitteilen. Haben Sie denn jemand, der sich um Sie kümmert und alles regelt?«
Sie schüttelte den Kopf. Damit schien sie sich noch nicht beschäftigt zu haben.
»Wir haben Verwandte in Bayern. Jemand müsste sie benachrichtigen, ich kann das nicht.«
Joshua vermerkte sich Name und Wohnort der Angehörigen und versprach, sich darum zu kümmern.
Auf dem Weg zum Präsidium ging er noch in
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