Zugzwang
Vielleicht solltest du manchen Leuten nicht zu sehr vertrauen. Ich wünsche dir jedenfalls viel Glück. Und …, wenn ich dir irgendwie helfen kann, zögere nicht, mich zu fragen, in Ordnung?«
»Danke, Marlies.«
Joshua fühlte sich, als hätte ihm jemand mit der Faust in den Magen geschlagen. Mobbing hatte er nicht erwartet, schon gar nicht von Daniel. Vor ein paar Tagen vielleicht noch, jedoch nicht jetzt und in dieser Situation. Er überlegte kurz, ihn zur Rede zu stellen, aber dazu hatte er im Augenblick keine Kraft. Schnell verdrängte er diesen Gedanken und überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Während seine Kollegin sich verabschiedete, nahm Joshua sich einen Kugelschreiber vom Schreibtisch und kritzelte gedankenverloren vor sich hin. Es fiel ihm schwer, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, zu viel schwirrte in seinem Kopf herum. Was für einen Grund konnte es geben, die Familie Schändler zu töten? Aus welchem Personenkreis stammen der oder die Täter? Wenn seine Annahme richtig war, dass Till Groding nicht als Täter in Frage kam, hatten sie es aller Wahrscheinlichkeit nach mit Profis zu tun. Es würde bedeuten, dass sie Grodings Fahrzeug gestohlen hatten und die Tatwaffe in seiner Wohnung platziert wurde. Ebenso müsste der ominöse Anruf bei der Zeitung vom Täter stammen. Das Motiv könnte sich in dem Tresor befunden haben. Da es im Moment wenig Erfolg versprach, nach Groding zu suchen, nahm er sich vor, diesen Spuren nachzugehen. Er ging in sein Büro, um die Autoschlüssel und sein Handy zu holen.
»Hast du was erreicht?«, mit einer inneren Wut ging Joshua zum Alltag über. Daniel hatte soeben den Telefonhörer aufgelegt.
»Die Kollegen haben sein Bild an die Medien weitergegeben. Zusätzlich ist die Altstadtwache damit beschäftigt, die Bevölkerung zu befragen. Noch was, die Kriminaltechnik hat sich gemeldet, sie haben da vielleicht was für uns. Sollen wir direkt hinfahren?«
»Fahr du hin! Ich fahre zur Zeitung. Ich will wissen, wer der Anrufer war.«
»Wie du meinst, aber das wird Winnie gar nicht gefallen. Du weißt doch, Alleingänge und so.«
»Er muss es ja nicht erfahren …, oder?«
Er sprach dieses ›oder‹ provozierend leise und langsam aus. Daniel antwortete nicht, sondern zog sein Jacket über. Vor dem großen Spiegel, den Daniel selbst an der Wand hinter seinem Schreibtisch angebracht hatte, zupfte er noch kurz an sich herum und verließ grußlos das Büro.
Joshua ging direkt zu Eduard Schönborn, dem d iensthabenden Redakteur der Zeitung. Er saß vor zwei großen Monitoren und las, als Joshua an den Rahmen der offenen Tür klopfte.
»Der Herr Hauptkommissar. Was verschafft uns die Ehre?«
Ohne Umschweife und Begrüßungsfloskeln kam Jo-shua zum Grund seines Besuches.
»Ich möchte wissen, wer der anonyme Anrufer war!«
»Daher weht der Wind. Wie du schon erwähntest, handelte es sich um einen anonymen Anruf.«
»Falls es überhaupt einen gab.«
Schönborn sah ihn mit gespieltem Entsetzen an.
»Nanana, Trempe. Hältst du uns für ein billiges Revolverblatt?«
»Denkbar wäre es. Aber jetzt mal im Ernst. Wer war es?«
Schönborn zuckte theatralisch mit den Schultern.
»Komm schon, Eddy. Was weißt du?«
Ungeduldig und mit erhobener Stimme bohrte Joshua weiter. Der Journalist lehnte sich zurück und verschränkte seine Arme vor den Bauch. Dann holte er tief Luft.
»War eine Handynummer. Rosi hat den Anruf entgegen genommen und durchgestellt. Die Nummer hat die dumme Kuh natürlich nicht aufgeschrieben. Kannst du denen hundertmal sagen, aber was soll’s«, er machte eine abfällige Handbewegung, »dunkle Stimme und verdammt kurz ab. Hat mir gesagt, er hätte am Tatort einen dunkelblauen BMW wegfahren sehen und mir das Kennzeichen genannt. Als ich es wiederholt habe, sagte er: Richtig und legte auf.«
»Hat er das so gesagt? Am Tatort?«
»Ja, warum?«
»Wie klang er? Nervös, aufgeregt oder wie?«
Eddy fingerte an seiner Krawatte.
»Jetzt, wo du es sagst. Der klang ganz kühl, kein bisschen aufgeregt. Denkst du, der hat was damit zu tun?«
»Wir werden es herausfinden. Danke für deine Hilfe, Eddy.«
Joshua stand auf und wollte gehen.
»Moment noch. Ich habe hier den Leitartikel von morgen. Es tut mir Leid, aber die Redaktionskonferenz hat so entschieden.«
Joshua beugte sich über Schönborns Schreibtisch und überflog den Artikel. Ihm stockte der Atem. Neben einem Bild von ihm war in großen Lettern zu lesen: Polizeipanne! Hauptkommissar
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