Zuhause ist ueberall
hätte ihr gern ihre neuen Möbel verkauft, spottbillig natürlich. Aber Resi braucht sie nicht, nur ein wenig Geschirr nimmt sie. Die Judenhäuser wechseln die Besitzer. Die Arisierer bekommen sie um einen Pappenstiel.
Ich frage auch im Franziskanerkloster nach der Anschlusszeit. Vier Patres sind da, sie betreuen die schöne Basilika, eine Esterházysche Patronatskirche. Ein weiß gekalkter Gang neben der Kirche, eine Empore für die Fürstenfamilie. Ja, das war eine schlimme Zeit damals, sagt Pater Josef. Der Obernazi, in jenen Jahren Ortsgruppenleiter und Bürgermeister und später immer noch ein angesehener Mann im Ort, sei »ein Hundling« gewesen. Aber der sei inzwischen gestorben, Pater Josef hat ihn versehen. Auch die Fronleichnamsprozession habe der Hundling damals verbieten wollen, sie sollte nur am Kirchenplatz stattfinden. Aber damit sei er nicht durchgekommen. Die Frauen haben ihn mit ihren Besen verfolgt, über den ganzen Kirchenplatz. Und was war mit den Juden? Den Wirbel damals habe er nicht gesehen, nur davon gehört, sagt Pater Josef. »Ich bin kein neugieriger Mensch.« Aber dem Dr. Weiss habe man vom Kloster aus einen Laib Brot und einen Laib Käse heimlich in sein Gefängnis geschickt.
Von Paul Rosenfeld höre ich die schlimmen Details über die Zeit nach dem »Anschluss« nicht. Er möchte daran wohl am liebsten gar nicht denken, und in der Vergangenheit seiner Mitbürger herumstochern möchte er schon gar nicht. Er verteidigt seine Frauenkirchner sogar. »Wer weiß, wie ich an ihrer Stelle gehandelt hätte«, sagt er. Und was die Exzesse am 11. März betrifft – die ärgsten Rabauken waren gar nicht die Leute aus dem Ort, sondern Golser, Menschen aus der Nachbargemeinde. Auch ein »harmloses Element« habe es bei der Sache gegeben. Bei Deutsch Markus sei am nächsten Tag der Glasermeister erschienen, er wollte die eingeschlagenen Fenster reparieren. Bei der Randale am Vorabend waren die Glaser-Buben dabei gewesen. Er lasse die Scheiben nicht erneuern, sagte Herr Deutsch, »ihr schlagt sie mir sowieso wieder ein«. Darauf der Glasermeister: »Markus, wenn du sie jetzt richten lässt, garantiere ich dir: Sie bleiben heil.« Und schließlich, meint Rosenfeld, haben die Leute hier ja auch allerhand durchgemacht. Der Krieg. Die vielen Gefallenen. Und dann die Russen.
Die Rosenfelds retten sich nach Ungarn. Im Städtchen Miskolc ist Magdi, Pauls Schwester, verheiratet. Ein paar Jahre können sie sich dort halten, dann rollt die Vernichtungsmaschine auch über die ungarischen Juden hinweg. 1944, nach dem Einmarsch der Deutschen, werden Hunderttausende verhaftet und in die KZ gebracht. Pauls Eltern, Magdi, ihr Mann und ihre Kinder landen in Auschwitz. Keiner von ihnen kommt zurück.
Paul überlebt wie durch ein Wunder. Auf einem Todestransport durch Österreich in Richtung Mauthausen gelingt ihm die Flucht. Er verschafft sich falsche Papiere, schlägt sich nach Linz durch und ergattert unter falschem Namen einen Job als Ungarisch-Dolmetscher in einer deutschen Artilleriekaserne. Nach dem Zusammenbruch Hitlerdeutschlands geht er zurück nach Ungarn. Die Budapester Juden sind mehrheitlich vom Holocaust verschont geblieben. Paul hat einen Onkel in Budapest, der dort eine kleine Fabrik besitzt. Bei ihm arbeitet Paul. 1946 heiratet er seine Malka. Als Ungarn 1948 kommunistisch wird, verliert Onkel Vilmos, »Vilmos bacsi«, die Fabrik. Paul und Malka nehmen sich vor, nach Australien auszuwandern. Sie haben schon die notwendigen Papiere, aber vorher will Paul seiner jungen Frau noch seinen Heimatort zeigen. Sie fahren nach Frauenkirchen. Malka gefällt es hier. Und Paul denkt: Was soll ich in Australien? Sie beschließen zu bleiben.
Die Rosenfelds haben keine Kinder. 1957 baut Paul ein Haus. Entschädigung hat er keine bekommen, nur zweimal fünftausend Schilling aus dem jüdischen Vermögensfonds. Das Grundstück, wo früher der Tempel stand, hat er gekauft. Er will nicht, dass dort irgendetwas anderes hingebaut wird. Er hat den Tempelgrund eingezäunt und Bäume darauf gepflanzt. Sie gedeihen nicht. Gern würde er dort eine Gedenktafel anbringen. Aber die Kultusgemeinde einladen und das Ganze mit viel Brimborium einweihen? Das möchte er auch nicht. Er kann sich vorstellen, wie manche Frauenkirchner darauf reagieren würden. Man wird sehen.
Die Rosenfelds fahren oft nach Wien, besuchen Veranstaltungen der Kultusgemeinde. Gelegentlich wollen sie »jüdische Luft atmen«. Auf meine alten Tage, sagt
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