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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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kommen, bei Umzügen im sogenannten ›Stimmungsblock‹ Fähnchen schwenken und optimistische Interviews im Neuen Deutschland geben. ›Sie nehmen mir meine Würde‹, habe der Mann gesagt – und dabei wolle er doch nichts anderes, als ordentliche Häuser bauen.«
    Die Stasi ist überall und begleitet natürlich auch uns bei der Arbeit. Unser Projekt, eine sogenannte Doku, ist unangreifbar: Wir wollen die Wiederentdeckung deutscher Geschichte, deutscher Traditionen, deutscher Werte durch die DDR darstellen. Internationalismus ist out, deutscher Patriotismus ist in. Seit Neuestem ist dieser Trend Mode: Ein Martin-Luther-Jubiläum wurde groß gefeiert, das Denkmal Friedrichs des Großen Unter den Linden wieder aufgestellt, Goethe und Schiller werden in Weimar neu herausgeputzt und alle diese Größen als Vorläufer des deutschen Arbeiter- und Bauernstaates gewürdigt. Die DDR als Vollendung der deutschen Geschichte. Dass wir darüber einen Film machen, ist den zuständigen Autoritäten durchaus recht, aber sie entwickeln dazu leider auch ihre eigenen Ideen.
    Eine flotte Blondine ist uns als Helferin zugeteilt. Als wir zu einem bewilligten Interview mit einer Autorin ausrücken, führt sie uns plötzlich zu einer anderen Schriftstellerin, von der ich nie gehört habe, die aber, so versichert unsere Begleiterin, »viel besser passen« würde. Die Frau einfach abblitzen zu lassen wäre unhöflich, also verständigen der Kameramann und ich uns auf »Kassette 7«. Das heißt, dass ich das Interview pro forma mache, dass in der Kamera aber kein Filmmaterial ist.
    Die Blondine ist unmittelbar für uns zuständig, aber über ihr gibt es noch einen höheren Schutzengel, einen verbindlichen Herrn von der Presseabteilung des Außenministeriums. Er lädt mich gelegentlich zu einem »Meinungsaustausch« ein. Als ich ihm sage, die DDR wolle ihre Errungenschaften doch immer vom Ausland anerkannt sehen, dieses Ziel werde sie mit den kleinlichen Schikanen, wie wir sie erlebten, aber kaum erreichen, macht er einen Vorschlag. Das sei sehr interessant, meint er, ob ich diese Erfahrungen nicht für eine »interne Publikation« aufschreiben wolle. Natürlich gegen angemessene Bezahlung. Ich sage nein, mehr aus Überdruss denn aus politischer Vorsicht. Und bin später erleichtert. Auf ähnliche Weise sind zahlreiche harmlose Leute als »inoffizielle Mitarbeiter« auf Stasi-Listen gelandet und haben das nach der Wende mit dem Ruin ihrer Reputation bezahlt.
    Wir drehen den Parteitag der SED, an dem auch der neue sowjetische Parteichef Gorbatschow teilnimmt. Ich notiere im Tagebuch: »Ein Stil, der in Polen oder Ungarn längst undenkbar ist: Jubelnde FDJler, Triumphalismus, eine endlose Folge tüchtiger Werktätiger, die dem Parteitag erfüllte Verpflichtungen beim Kohlefördern, Maschinen-Erfinden, Symphonienkomponieren, Schweinezüchten ›melden‹ und der Partei für ihre weise Führung und stete Unterstützung danken. Eine pummelige junge Frau dankt für Kredite für junge Familien und erklärt, ›die Termine für die Familienplanung werden natürlich sofort vorgenommen‹. Die Delegierten klatschen sich auf die Schenkel über diese Kostprobe typischen DDR-Humors. Gorbatschows Referat, ganz im Zeichen der ›Wende‹ in der Sowjetunion, wirkt dagegen geradezu erfrischend.«
    Zwei Jahre später ist die Opposition schon ein wenig kühner geworden. Sie haben die halbe Friedensbewegung eingesperrt, darunter auch Bärbel Bohley. Der Anlass: Bei der offiziellen Liebknecht-Luxemburg-Demonstration am 15. Jänner hatten einige Leute eigene Transparente mitgebracht, darunter eines mit dem bekannten Wort von Rosa Luxemburg »Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden«. Wenn es für die Betroffenen nicht so schlimm wäre, wäre ich über diesen Eklat fast froh. Er bringt die ganze grässliche Verlogenheit dieses Staates in exemplarischer Weise auf den Punkt. Es ist eine der seltenen Gesten, die einen Sachverhalt blitzschnell und einleuchtend erhellen, erklären, entlarven.
    Diese parteioffizielle Luxemburg-Demonstration ist ein typisches Stück DDR. Da werden ein Haufen Betriebsgruppen-Spießer, Partei-Mitläufer, Spitzel, Jasager – genau die Leute, die Rosa Luxemburg zeitlebens am wenigsten mochte und vice versa –, diese »Massen« werden also zu einer sogenannten »Kampfdemonstration« auf die Straße befohlen. Es gibt Einheitsparolen, und fahnenschwenkend, der Parteichef Honecker an der Spitze, marschiert alles im Spartakisten-Look

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