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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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zur Gedenkstätte in Friedrichshain. Und wenn jemand das Ganze ausnahmsweise ernst nimmt, echte Luxemburg-Parolen trägt, eine wirkliche »Kampfdemonstration« veranstalten will, kommt die Polizei und sperrt ihn ein. Begründung: Die Demonstranten hätten die Bürger »in ihren staatsbürgerlichen Gefühlen verletzt«.
    Die Luxemburg-Demonstration gefällt mir übrigens besser als die ewigen »Friedens«aktivitäten, in denen sich die DDR-Opposition sonst erschöpft. Ehrenwert, sehr protestantisch und sehr deutsch und mir eigentlich langweilig, da zu deutsch.
    Immer mehr tritt nun die evangelische Kirche in den Vordergrund. Ich erlebe eine große Solidaritätsdemonstration in der Gethsemane-Kirche. Die Kirche, ein neugotischer Backsteinbau am Prenzlauer Berg, bummvoll, auch auf dem Platz davor drängen sich die Leute. Viel junges Volk dabei, Bärte und Punkerschöpfe und sanfte deutsche Madonnengesichter. Mal hören, was der Pope spricht, sagt ein Junger mit grünen Haaren. Ganz schön mutig, denke ich mir, in diesem Land der Konformisten mit grünen Haaren herumzulaufen. Anklänge an Polen – aber doch sehr anders, eben deutscher, braver.
    Die evangelische Kirche entwickelt sich allmählich zu dem, was die katholische Kirche in Polen ist: zur Sprecherin der Gesellschaft und zum respektierten Gesprächspartner der Regierung. In der Frage der Verhaftungen benimmt sie sich sehr anständig. Die Aktivisten werden von einem kirchlichen Anwalt verteidigt, der Bischof war persönlich bei den ersten Prozessen. Aber Wortlaut und Ton ihrer Erklärungen ist für unsereins doch ein wenig sehr staatsnah. Wir wollen die anderen überzeugen, sagt Bischof Forck, dass wir eigentlich gar nicht gegen sie sind, sondern für sie. »Kirche im Sozialismus« – keine Opposition, auch kein Gegenpol zum Staat, sondern eine Art Motor für Reformen à la Gorbatschow.
    Das ist einerseits realistisch (die Bürgerrechtsbewegung ist winzig klein und die Kirche im Grunde auch) und hat andererseits vermutlich auch mit dem protestantischen Obrigkeitsverständnis zu tun. Am wesentlichsten ist aber wohl die Tatsache, dass den DDR-Deutschen zwar die Auswüchse des Regimes, aber nicht ihr Staat als solcher so zuwider ist wie den Polen der ihrige. Für diese ist ein gottloser, mit Russland verbündeter Staat der Feind schlechthin. Für jene ist ein wohlwollender Obrigkeitsstaat, der funktioniert, in dem der Herr Bezirkssekretär und der Herr Oberlehrer eine große Rolle spielen und in dem jeder, der fleißig arbeitet und nicht kritisiert, es zu bescheidenem Wohlstand bringen kann, im Grunde gar nicht so schlecht. Insofern artikuliert die evangelische Kirche, die Kirche der Deutschen, wohl wirklich die Aspirationen des Volkes.
    Auch formal hatte die »Andacht« übrigens eine gewisse Ähnlichkeit mit einer FDJ-Versammlung (mit umgekehrten Vorzeichen): »Friedenslieder« zur Klampfe, Solidaritätsbotschaften, rhythmischer Applaus, ein munterer Pfarrer (»na denn wolln wir mal«) als Conferencier. Zum Vaterunser am Schluss stand niemand auf.
    In der Sonntagsmesse in der katholischen Hedwigskirche bin ich dann ganz froh, wieder in einer richtigen Kirche zu sein. Hier gibt es verblüffenderweise weder in der Predigt noch bei den Fürbitten den geringsten Bezug auf die aktuelle Situation. Eine x-beliebige Messe, eine x-beliebige Predigt. Keine Fürbitte für die vielen Jungen, die jetzt im Gefängnis sitzen und über deren Schicksal niemand wirklich Bescheid weiß. Die Kirchenspaltung in Deutschland wird einem hier sehr augenfällig bewusst. Bei den einen kommt der liebe Gott zu kurz, bei den andern die Menschen.
    Ich bin im Grunde schüchtern, aber als Auslandskorrespondentin habe ich das Privileg, ungeniert jeden anzurufen, der mich interessiert, und um ein Gespräch zu bitten. Ich lerne die Schriftsteller kennen, die es hierzulande zwar schwer haben, aber von den Mächtigen so ernst genommen werden wie nirgends im Westen. Viele publizieren in der Bundesrepublik – neben Christa Wolf auch Stefan Heym, Volker Braun, Christoph Hein, Heiner Müller. Der Staat lässt das zu, er partizipiert an den Tantiemen. In der DDR sind ihre Bücher ohnehin kaum zu bekommen. Wenn doch einmal eins im Lande erscheint, spricht sich das in Windeseile herum, und alle Interessierten eilen sofort in die Buchhandlungen. Im Nu ist es ausverkauft.
    Heiner Müller, den ich bis heute für einen deutschen Klassiker des 20. Jahrhunderts halte, ist ein etwas zerknitterter Mann mit einem

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