Zuhause ist ueberall
nicht ein einziger Ausländer gemeldet.
Wie, wenn man Einheimische und Fremde an einen Tisch brächte? Wenn gewöhnliche Leute, verschreckte Österreicher und nicht minder verschreckte Zuwanderer, miteinander ins Gespräch kämen, sagen könnten, was sie aneinander stört? Wenn aus »dem Ausländer«, dem unbekannten und bedrohlichen Wesen, ein konkreter Mensch würde, mit einem Gesicht, konkreten Sorgen und Wünschen? Wenn Leute, die nebeneinander leben müssen, ihre wirklichen und eingebildeten Probleme nicht über Kampfparolen und Hetzartikel vermittelt bekämen, sondern diese direkt, Auge in Auge, von Person zu Person besprechen und verhandeln könnten? Ich könnte so etwas nie im Leben selbst organisieren, aber ich kenne Menschen, die das könnten.
Ursula Struppe, eine junge Theologin und Alttestament-Spezialistin, leitet die Theologischen Kurse für Laien in der Erzdiözese Wien. Auch ich habe einmal einen solchen Kurs absolviert. Uschi ist eine hervorragende Organisatorin. Wir reden. Sie fängt sofort Feuer. Auf der Straße treffe ich zufällig Helmut Schüller, ehemals Generalvikar der Erzdiözese, und erzähle ihm von unserem Plan. Auch er ist gleich dabei. Die beiden schaffen es, einen Kreis von Leuten zusammenzubringen, der in den folgenden Monaten eine Initiative namens »Land der Menschen« auf die Beine stellt. Den Namen hat unsere Werbeagentur erfunden. Er spielt auf die österreichische Bundeshymne an und besagt, dass Österreich nicht nur ein »Land der Berge« ist, sondern auch und vor allem ein Land der Menschen, die darin leben, der einheimischen und der zugewanderten. Ein Werbespot im Fernsehen, mit der Melodie der Hymne unterlegt, bringt die Idee unter die Leute. Ein Jahr lang, beschließen wir, wollen wir im ganzen Land Direktgespräche zwischen Inländern und Ausländern initiieren.
Es wird eine Heidenarbeit, aber es funktioniert. Wir rennen von Pontius zu Pilatus, zu den Gewerkschaften, zur Wirtschaftskammer, zu Promis und Nicht-Promis, zu Linken und zu Bürgerlichen. Zu den politischen Parteien gehen wir nicht. Künstler und Studenten machen mit, Lehrer und Hausfrauen, Christen und Muslime. Unsere Mitstreiter treiben Geld auf und organisieren Bürgergespräche in Gemeindebauten und Pfarrsälen, auf Märkten und in Fußgängerzonen, in islamischen Gemeindezentren und städtischen Kulturhäusern. Helmut Schüller erweist sich als begnadeter Diskutierer, wo immer er auftaucht, bilden sich eifrig argumentierende Grüppchen. Auch Ferdinand Lacina, einst sozialdemokratischer Finanzminister, wirft sich tapfer ins Gewühl. Und viele andere mit ihm. Es wird ein intensives und lehrreiches Jahr. Einige Begegnungen bleiben hängen.
Ein Gemeindesaal in einem steirischen Dorf. Ein Podium mit Inländern und Ausländern. Volles Haus. Eine ältere Frau im Publikum steht auf. Sie komme ja nicht oft in die Stadt, sagt sie, aber neulich war sie in Graz, und da sah sie: Mitten auf dem Jakominiplatz steht ein Neger. Darf er das? Die Frage ist weder feindselig noch aggressiv gestellt. Die Frau hat noch nie einen Schwarzen gesehen. Sie will es einfach wissen. Der Saal diskutiert das Problem sehr ernsthaft. Hat der Mann Drogen verkauft? Leute belästigt? Nein, nein. Er stand nur einfach da. Man kommt einhellig zu dem Schluss: Er darf. Die Frau ist es zufrieden. Sie hat ja nur fragen wollen.
Ein islamisches Gemeindezentrum in einem Wiener Vorstadtbezirk. Das Lokal liegt im Souterrain eines Altbaus, und die Anrainer sind beunruhigt über die vielen türkischen Männer, die da ständig ein und aus gehen. Was die wohl dort drinnen treiben? Wir haben mit Hilfe der Islamischen Glaubensgemeinschaft den Imam dazu gebracht, die Leute aus der Umgebung in das Bethaus einzuladen. Tag der offenen Tür. Zu dieser Zeit ist so etwas noch völlig ungewöhnlich, und wir sind ein wenig nervös. Ob wohl Leute kommen werden? Überflüssige Sorge. Die Leute kommen, und wie.
Sie ziehen brav ihre Schuhe aus und betreten etwas zögernd den Gebetsraum. Wir setzen uns, dichtgedrängt, im Kreis auf den Teppich. In der Mitte kniet, ein niedriges Lesepult vor sich, unser Freund Tarafa Baghajati, Bauingenieur aus Syrien, aber nebenbei auch Imam und freitags Prediger in einigen Moscheen. Die Frauen flüstern einander zu: Fesch ist er, das muss man ihm lassen. Tarafa erklärt uns in gutem Deutsch die Grundbegriffe des Islam. Es ist eine Mischung aus Katechismusstunde und Tausendundeiner Nacht. Als er erzählt, der Prophet Mohammed habe den
Weitere Kostenlose Bücher