Zuhause ist ueberall
Muslimen geboten, jeweils die Gesetze des Landes einzuhalten, in dem sie sich befinden, sagt der Spenglermeister, der neben mir auf dem Teppich sitzt, laut: Ah, da schau her.
Jetzt treten die Türkenbuben in Aktion, die normalerweise der Schrecken des Viertels sind. Heute sind sie tadellos gewaschen und geschniegelt und bieten allen Gästen Tee aus kleinen Gläsern und allerlei Häppchen an. Die Frauen haben am Vortag eifrig gebacken. Ich setze mich zu ihnen in den Nebenraum. In beiden Räumen, bei den Frauen wie bei den Männern, kommt jetzt das Gespräch in Gang. Manche Nachbarn erinnern sich daran, dass sie als Kinder selbst in den Substandardwohnungen aufgewachsen sind, in denen jetzt die türkischen Zuwanderer wohnen. Damals, sagt einer, habe es auch immer Zoff gegeben wegen Lärm und Fußballspielen im Hof.
Anderntags ist das Ereignis Tagesgespräch im Grätzel. Die, die nicht da waren, ärgern sich, dass sie etwas versäumt haben. Und eine pensionierte Lehrerin, die immer mit den lärmenden Zuwandererkindern schimpft, findet im Blumengeschäft in ihrem Haus ein Brieflein, mit Blümchen geschmückt, auf dem mit ungelenker Hand geschrieben steht: Kleine Kinder sagn Enculdigung. Da ist selbst die Gestrenge ein bisschen gerührt.
Im Gemeinschaftsraum eines Gemeindebaus wird ebenfalls lebhaft diskutiert. Es geht um Lärm, Musik, Müll, Kopftücher. Eine Kopftuchfrau meldet sich. Sie spricht recht gut deutsch. Ihr kleiner Sohn, sagt sie, sei neulich zu ihr gekommen und hätte gesagt, er möchte jetzt nicht mehr Omar heißen, sondern Herbert. Wie denn das? Omar ist doch ein schöner Name. So hat dein Großvater geheißen, und den hast du doch so gern gehabt. Ja, sagt Omar. Aber wenn ich Herbert heiße, dann lassen mich die andern vielleicht mitspielen.
Bei einer sogenannten Straßenaktion auf einem Markt steht eine Gruppe Gärtner der Stadt Wien am Rande des Geschehens und hört interessiert zu. Nach ihrer Meinung zum Thema Ausländer gefragt, sagt einer, in ihre Partie komme jedenfalls kein Ausländer herein. Das komme überhaupt nicht in Frage. Freilich, einer aus der Gruppe ist schokoladebraun. Er steht da und grinst. Wir sind ein bisschen verlegen. Ja, aber, äh, Ihr Kollege? Was ist mit Ihrem Kollegen? Der?, meint der Erste. Das ist doch kein Ausländer. Das ist der Mustafa.
Ähnliches hören wir noch oft. Das ist einer der bestimmendsten Eindrücke, die wir nach unserem »Land-der-Menschen«-Jahr von der ganzen Aktion mitnehmen. Bei den Hunderten Gesprächen, die wir geführt haben, kam immer wieder die Bemerkung, die Nachbarn und die Arbeitskollegen seien eigentlich eh in Ordnung. Aber »überhaupt« gäbe es eben viel zu viele von der Sorte. Die Österreicher, haben wir gelernt, mögen »die Ausländer« als Gattung nicht. Aber mit dem konkreten Ausländer, dem Mustafa, dem Zoltan, dem Ali – mit dem kommen sie eigentlich meist ganz gut aus.
Hat unsere Initiative etwas gebracht? Mindestens eine nachhaltige Folge hat sie jedenfalls gehabt. Im nächsten Jahr kündigt Ursula Struppe ihren Job bei der Erzdiözese Wien und wechselt ins Wiener Rathaus, wo sie Leiterin der Magistratsabteilung für Integration und Diversität wird und fortan, jetzt mit sehr viel mehr Geld, die vielfältigen Programme der Stadt zu diesem Thema erfindet, koordiniert und umsetzt.
Und auch ich suche mir einen Job im Integrationsbereich. Ich mache eine Ausbildung als Lehrerin für Deutsch als Zweitsprache und unterrichte fortan Migranten und Asylwerber in der deutschen Sprache. Und entdecke wieder einmal eine neue Welt.
Breznitz revisited
Mein Bruder Jakob hat die Idee, seinen ersten Enkel in Breznitz taufen zu lassen. In der Schlosskapelle, wo wir alle getauft worden sind. Warum nicht? Die Kommunisten sind weg, und das Schloss kann man jetzt für Veranstaltungen mieten. Gesagt, getan. Wir nehmen Kontakt auf mit der Schlossverwaltung, und an einem schönen Tag im Juni 2003 setzt sich eine Autokolonne von Wien aus in Richtung Südböhmen in Bewegung. Wir fahren mit Kind und Kegel zurück in die Welt meiner Kindheit.
Es ist nicht meine erste Erinnerungsreise dorthin. Ich war schon vor Jahren, mitten in der Kommunistenzeit, einmal in Breznitz, in Begleitung meines jüngsten Bruders Michael. Wir fuhren in meinem ersten eigenen Auto, dem klapprigen VW Cabrio. Die erste Fahrt mit diesem Vehikel, das hatte ich mir so vorgenommen, sollte nach Böhmen gehen.
Wir besuchen Emilka, unsere einstige Köchin. Sie war damals eine junge Frau,
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