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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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den Schreibtischen auf und ab und stößt seinen gefürchteten Klageruf aus: »Manus, Manus!« Dann heißt es schnell machen. Herr Soukup wartet.
    Ludwig Derka ist ein alter Herr, ein Relikt aus der Zwischenkriegszeit, in der er bei der damaligen Kronen Zeitung gearbeitet hat. Er kennt viele Geschichten aus der Frühzeit des Wiener Journalismus. Zum Beispiel wie ein Kollege eine Agenturmeldung mit der Ortsangabe Lake Hurst ungelesen in den Papierkorb warf, mit dem verächtlichen Ausruf: »Ach was, Lake Hurst«, ausgesprochen wie Backe Wurst. Sein Pech: Es handelte sich um die Meldung über den Absturz des Luftschiffs »Hindenburg«, eine Weltsensation. Etwas Ähnliches unterlief noch früher einem anderen Wiener Zeitungsmann beim tödlichen Attentat auf die Kaiserin Elisabeth in der Schweiz. Die Meldung begann: »Ihre kaiserliche und königliche Majestät …«, und behandelte den Fortgang von deren Reise in die Schweiz. Dass die Kaiserin dabei ermordet worden war, stand erst am Schluss, und so weit las der Journalist nicht. Die Moral, die Herr Derka uns mit derlei Geschichten mitgeben will, lautet: Agenturmeldungen sorgfältig lesen, und beim Schreiben das Wichtigste an den Anfang setzen.
    Herr Derka ist ein braver Mann, aber auch ein alter Schürzenjäger. Während er auf unsere Berichte wartet, die über seinen Schreibtisch gehen, liest er gern die »Mutzenbacher«, den Wiener Pornoklassiker. Und wenn ich mein Manus abgebe, muss ich aufpassen, dass ich mich in gebührender Distanz halte, um eventuellen Grapschern zuvorzukommen. Unser Chef liebt auch anzügliche Bemerkungen und freut sich diebisch, wenn ich rot werde. Und auch meine Kollegen, alles nette Kerle, die der Anfängerin solidarisch beistehen, sind nicht abgeneigt, die neue junge Kollegin ein bisschen in Verlegenheit zu bringen. Das ist alles durchaus nicht böse gemeint. Es ist zu jener Zeit eben der Stil. Und auch mir liegt feministische Empörung fern. Ich bin schon froh, wenn ich nicht durch ein unbedachtes Wort in eine Falle tappe und allgemeines wissendes Grinsen provoziere.
    Selbstbewusste berufstätige Frauen sind in meiner von der Nazizeit geprägten Generation noch selten. Von meiner Salzburger Gymnasialklasse haben nur vier Mitschülerinnen ein Studium abgeschlossen. Die anderen, alles patente Frauen, arbeiten zwar zunächst irgendwo, geben aber nach der Heirat sofort den Beruf auf und begnügen sich damit, für Mann und Kinder da zu sein. In der älteren Frauengeneration war das anders. Zur Presse -Redaktion stößt später Ilse Leitenberger, eine kleine, energische, emanzipierte Person, die bald stellvertretende Chefredakteurin wird. Und wir alle kennen Elisabeth Thury, innenpolitische Redakteurin in der Austria Presse Agentur und Doyenne des Wiener Journalismus.
    Frau Thury ist eine große, dicke, mächtige alte Frau mit sorgfältig frisierten dunklen Löckchen. Man sieht ihr an, dass sie einmal attraktiv gewesen ist. Keine Pressekonferenz kann beginnen, bevor sie gravitätisch wie ein Schlachtschiff hereingesegelt ist und in der ersten Reihe Platz genommen hat. Sie ist mit mehreren Ministern per Du und genießt hohes Ansehen, sowohl in der eigenen Branche als auch bei den Politikern. Dabei stand sie in den Dreißigerjahren als Angeklagte im Mittelpunkt zweier Skandalprozesse. Jedes Mal ging es um Mordversuch mit Gift. Elisabeth Thury, von Haus aus eine serbische Fürstin, hatte versucht, die Ehefrauen ihrer verheirateten Liebhaber aus dem Weg zu räumen. Sie landete im Gefängnis, kam aber nach kurzer Zeit wieder frei. Und ihr Auftritt vor Gericht war so eindrucksvoll, dass Karl Kraus in der Fackel schrieb, die Beschuldigte sei um vieles gescheiter als die Richter, die sie verurteilt hatten. In der Nazizeit war sie im Widerstand und kam ins KZ. Für uns Junge ist sie eine legendäre Figur.
    Aber es gibt noch andere Originale in der Wiener Zeitungsszene der Fünfziger- und Sechzigerjahre. 1956, in meinem ersten Jahr dort, übersiedelt Die Presse von der Universitätsstraße auf den Fleischmarkt, in jenes Gebäude, in dem einmal das Neue Wiener Tagblatt hergestellt wurde. Nun sind wir in einem richtigen Zeitungshaus mit einer eigenen Setzerei. Dort regiert Herr Häuser, der Umbruchsredakteur. Er sieht aus wie ein Heldentenor, und auch sein Auftreten würde jeder Opernbühne zur Ehre gereichen. Groß und stattlich, mit wehendem weißem Haar und einem karierten Cape, das er nach Künstlerart über die Schultern geworfen hat. Dazu trägt er

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