Zuhause ist ueberall
einen breitkrempigen Hut à la Makart.
In der Setzerei waltet er seines Amtes mit Donnerstimme. Einmal bin ich Zeugin, wie der Chefmetteur bei einem der berüchtigten Häuser-Ausbrüche seelenruhig erklärt: Herr Häuser, wenn Sie so schreien, macht mich das so nervös, dass mir das Schiff aus der Hand fallen könnte. Das Schiff ist der Rahmen mit dem Bleisatz der fertig umbrochenen Zeitungsseite. Wenn es zu Boden fällt, gibt es einen sogenannten Blattsalat. Eine Katastrophe, denn das bedeutet, das alles neu umbrochen werden muss und der Andruck versäumt wird. Von Stund an ist Herr Häuser ruhig und höflich.
Ich liebe die Setzerei und bin froh, wenn ich zum Spätdienst eingeteilt werde. Der Spätdienst-Redakteur muss bis zum Andruck im Haus bleiben und im Fall einer Sensation, die am Abend ausbricht, das Blatt mutieren. Es gefällt mir in der großen düsteren Halle. Die Setzmaschinen rattern, es riecht nach Blei und Druckerschwärze. In einem Glasverschlag sitzt der Korrektor mit seinem Duden und überprüft alles auf Rechtschreibfehler. Er ist in dieser Hinsicht strenger und wohl auch gebildeter als der Chefredakteur. Ich lerne die Branchensprache. Lokalspitzen sind kleine Meldungen, die man einschieben kann, wenn irgendwo ein Text zu kurz ist. Garmond, Petit und Nonpareille sind die Schriftgrößen. Ein Hurenkind ist eine Zeile, die über die Spalte überhängt. Dann muss man den Text kürzen und dafür sorgen, dass das Hurenkind verschwindet.
Wenn ich spätabends von der Setzerei nach Hause in mein Untermietzimmer gehe, führt mein Weg durch die Kärntner Straße. Dort ist zu diesem Zeitpunkt das Nachtleben in vollem Gange. Die damals eleganteste Wiener Einkaufsstraße ist auch die Rotlichtzone. An den Ecken zu den Seitengassen stehen die einschlägigen Damen und warten auf Kundschaft. Bei der Annagasse, wo es mehrere Nachtlokale gibt, hat eine große Blonde mit einem Hündchen ihren Standplatz. Wir kennen einander jetzt schon vom Sehen. Wenn ich vorbeigehe, nicken wir uns freundlich zu. Zwei Frauen, die um diese Zeit arbeiten müssen. Verrucht und gefährlich ist das nächtliche Wien in diesen Jahren nicht, jedenfalls nicht in der Kärntner Straße.
Die großen Kaliber der Presse -Redaktion bekomme ich als jüngstes Mitglied und kleinstes Rädchen in der Zeitungsmaschinerie nur selten zu sehen. Aber manchmal nehme ich doch an der Redaktionskonferenz teil, und das ist jedes Mal ein Erlebnis. Leiter der Innenpolitik ist Hans Mauthe, ein knorriger Nationalliberaler, Vater des Schriftstellers und späteren Stadtrats Jörg Mauthe. Er sitzt meist grantig dabei und hört zu, wie die anderen diskutieren. Man sieht ihm an, dass er das Meiste, das gesagt wird, für Blödsinn hält. Und einmal steht er auf, sagt: Leckts mich doch alle am Arsch, und verlässt das Zimmer. Milan Dubrovic, damals Chefredakteur, läuft ihm auf den Gang nach und ruft: Mauthe, Mauthe, jetzt sei doch nicht so.
Dubrovic ist ein Mann von großem Charme, er sieht, dalmatinischer Gentleman, der er ist, hinreißend aus und ist einer aus der schwindenden Schar jener, die noch die große Zeit der Wiener Literatencafés und deren Besucher erlebt hat. Die für uns schon ins Mythische entrückten Größen von damals, Joseph Roth und Franz Werfel und Milena Jesenská, Kafkas Briefpartnerin, kannte er alle persönlich.
Er ist auch ein enger Freund des Schriftstellers Friedrich Torberg. Als dieser 1951 aus der Emigration nach Wien zurückkehrte, war es Dubrovic, der seinen Empfang in Torbergs ehemaligem Stammcafé, dem Herrenhof, inszenierte. Torbergs erster Weg führte natürlich ins Kaffeehaus. Und dort begrüßte ihn der Ober, es war noch derselbe wie vor dem Krieg, als sei der Gast erst gestern dagewesen. Guten Morgen, Herr Torberg, Die Presse und einen kleinen Schwarzen wie immer? Als wäre nichts gewesen. Und als könnte man wieder genau dort anfangen, wo man 1938 aufgehört hatte.
Eine nette Geschichte, aber für mich auch ein bisschen beklemmend. Denn natürlich ist nichts so, wie es gewesen war. Und natürlich hat man auch nicht dort wieder angefangen, wo man aufgehört hat, nicht zuletzt deshalb, weil das Personal von Grund auf gewechselt hat. In der Presse , dem einstigen »Judenblatt«, arbeitet kein einziger Jude mehr. Und genau wie in der Volksschule, im Gymnasium, auf der Universität ist auch in der Presse die Nazizeit kein Thema. Unsere Themen sind andere: der Wiederaufbau, der wachsende Wohlstand, die Konsolidierung der
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