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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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sieht einer Nazidemonstration verdammt ähnlich.
    Ich soll darüber berichten und gehe mit einigen meiner Künstlerfreunde hin. Wir staunen. Und wir sind empört. Ich schreibe meine Geschichte und suche sie am nächsten Tag in der Zeitung. Ich habe eine große Aufmachung erwartet. Tausende Rechtsradikale auf der Ringstraße, denke ich mir, das ist schon etwas. Aber nein. Ich finde meinen Bericht, stark zusammengekürzt, als bescheidenen Zweispalter im Inneren des Blattes. Auf der Lokalseite.
    Die Presse ist durchaus kein Naziblatt. Aber es entspricht dem Stil der Zeit, über kontroverse politische Themen lieber nicht zu diskutieren. Es ist Kalter Krieg, das ist Politik genug. Da weiß man wenigstens klar, wer der Feind ist. Über alles andere schweigt man besser. Die Nazizeit ist noch nicht so lange her, zu viele gibt es, die ihr nachtrauern. Wozu in Wunden herumstochern, Ressentiments herausfordern, unangenehme Fragen stellen und womöglich schmerzliche Antworten geben müssen. Das große Schweigen regiert. Und es wird noch dauern, bis es gebrochen wird.

Wie man Nazis macht
    Im Juni 1962 findet im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts ein Prozess statt. Angeklagt sind einige junge Leute, die einen Brandanschlag gegen das Parlament verübt haben. Sie sind militante Neonazis und erbitterte Feinde der parlamentarischen Demokratie in Österreich. Ich arbeite mittlerweile bei der Wiener Tageszeitung Kurier und soll über das Verfahren berichten. Der Auftrag ist ein Schnellkurs in politischer Bildung.
    Die Angeklagten sind alle um die zwanzig, ordentlich angezogen mit Anzug und Krawatte. Schnurgerade Scheitel. Brav sitzen sie auf ihren Plätzen. Ihre Anwälte sind Herren mit Schmissen im Gesicht, offensichtlich schlagende Burschenschafter. Ihre Strategie geht dahin, die Tat ihrer Mandanten als Bubenstreich darzustellen, ausgeführt in jugendlichem Übermut. Nicht wirklich ernst zu nehmen. Die Richter sind nur allzu bereit, dieser Darstellung zu folgen. Man will keine Märtyrer schaffen. Und man will auch nicht allzu viel über Motive und Hintergründe der Aktion wissen. Schließlich ist dabei niemand zu Schaden gekommen. Möglichst schnell will der Vorsitzende die Sache hinter sich bringen, je weniger von Politik die Rede ist, desto besser.
    Aber da hat er nicht mit dem Angeklagten Gerd Honsik gerechnet. Dieser junge Mann will unbedingt Auskunft geben über das, was ihn dazu bewogen hat, eine Bombe gegen den Sitz der österreichischen Legislative zu schleudern. Er wollte ein Zeichen setzen, erklärt er. Er wollte seine Verachtung für die »Marionettenregierung« zeigen. Er wollte sein Bekenntnis zum Deutschtum und zum Nationalsozialismus kundtun. »Alles, was österreichisch ist, ist mir verhasst«, sagt er, nicht zur Freude seines Anwalts. Diesem ist am Gesicht anzusehen, was er jetzt denkt. Junge, du redest dich um Kopf und Kragen. Aber er kann den Angeklagten nicht stoppen. »Ich werde alles tun, was in meinen schwachen Kräften steht, um das österreichische Staatsgefüge zu vernichten«, sagt Honsik. Und ja, er steht zu Adolf Hitler. »Wenn Hitler auch hundert Millionen Juden ermordet hätte, so hat er doch die Ketten von Saint Germain gesprengt.«
    Es geht nicht anders, die Richter müssen ihn verurteilen. Honsiks zurückhaltendere Mitangeklagten kommen glimpflich davon. Einer von ihnen, Günther Kümel, steht übrigens einige Jahre später neuerlich vor Gericht. Er hat bei einer anderen Demonstration einen Gegendemonstranten tödlich verletzt. Das mit den hundert Millionen Juden hat Gerd Honsik später relativiert. Er hat bestritten, dass Hitler überhaupt Juden ermordet und dass es überhaupt Gaskammern gegeben hat. Er wird als »deutscher Freiheitsdichter« zu einer führenden Figur der internationalen Naziszene, schreibt ein Buch »Freispruch für Hitler«, geht ins Exil nach Franco-Spanien und wird später wegen Wiederbetätigung neuerlich verurteilt. Diesmal, nach seinem ersten Auftritt in der Öffentlichkeit, fasst er vier Jahre Gefängnis aus.
    Mir geht die Sache nicht aus dem Kopf. Wer ist dieser Bursche, der achtzehn Jahre nach dem Ende des Naziregimes immer noch dessen Ideen nachhängt? Er war zwei Jahre alt, als Hitler im Berliner Führerbunker Selbstmord beging. Und hält diesem immer noch die Treue. Er ist im Nachkriegsösterreich aufgewachsen, in mehr oder minder demokratischen Verhältnissen. Was waren das für Verhältnisse? Was hat diesen jungen Bombenwerfer geprägt? Was waren

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