Zuhause ist ueberall
seine Vorbilder? Wer hat ihn erzogen? Und ist er eine Einzelerscheinung, oder laufen da draußen noch viele seinesgleichen herum? Was geht eigentlich vor unter diesen Jungen und was in den Schulen, aus denen sie kommen? Stoff für eine Reportage. Ich fange an zu recherchieren.
Die persönlichen Angaben, die beim Prozess bekannt geworden sind, sagen nicht allzu viel aus. Vater gefallen. Der Bub ging in Wien in die Volksschule, später ins Realgymnasium. Mit vierzehn hat er Lernschwierigkeiten, die Mutter schickt ihn in die Bundeserziehungsanstalt in Waidhofen an der Thaya. In der siebenten Klasse wechselt er wieder die Schule, er kommt ans Realgymnasium in Klosterneuburg. Zur Matura bringt er es aber nicht, er kriegt Krach mit den Lehrern und bricht die Schule ab. Und schlägt sich dann als Maturaschüler und Chauffeur durch.
Ich finde einen Mitschüler aus Honsiks Zeit in der Unterstufe des Realgymnasiums Wien V. Eine normale Wiener Mittelschule. Und normal war wohl auch der Ton, der dort herrschte. »In der Turnstunde wurde exerziert«, sagt mein Gewährsmann. »Rechtsum, linksum, Augen geradeaus. Und im Deutschunterricht haben wir die Sachen von Hans Grimm gelesen. Der Professor hat immer gesagt: Das ist zwar angeblich nazistisch, aber doch ein großes Kunstwerk.«
Entscheidend für Gerd Honsiks Entwicklung scheint aber die Zeit in Waidhofen gewesen zu sein. Ich fahre hin.
Waidhofen ist ein idyllisches Städtchen im Waldviertel. Das Bundeskonvikt ist ein imposantes Gebäude. Bundeskonvikte sind Einrichtungen der Republik, ursprünglich gegründet, um begabten Kindern vom Land den Besuch einer Höheren Schule zu ermöglichen. Wie kann es sein, dass aus ihnen Neonazis hervorgehen? Honsik ist übrigens nicht die einzige Naziberühmtheit, die im Waidhofener Internat erzogen worden ist. Auch Amon Göth, der KZ-Kommandant von Plaszow bei Krakau, Hauptfigur in Steven Spielbergs Film »Schindlers Liste«, war hier Zögling. In Plaszow liebte er es, beim Rasieren vom Badezimmerfenster aus vorübergehende jüdische Häftlinge zu erschießen. Nur so, zum Spaß.
Heute ist das Konvikt keine Nazischule. Das sehe ich gleich. Über dem Eingang hängt ein Täfelchen mit der Aufschrift »Der Herr segne dieses Haus«. Und die Atmosphäre ist stockkonservativ. Und ziemlich miefig. Die meisten Lehrer sind CVer, Alte Herren der katholischen Studentenverbindung Rugia. Die meisten Schüler gehören zur gleichnamigen Mittelschülerverbindung. Der Ständestaat lässt grüßen. Ich bitte um Zutritt zur Bibliothek und blättere das Bücherverzeichnis durch. Schulklassiker, Heimatdichter und, natürlich, Mirko Jelusich und Will Vesper. Hier hat sich seit der Nazizeit nicht viel geändert.
Gespräch mit dem Direktor. Ein rundlicher Beamtentyp, der nicht begeistert ist, dass Journalisten hier auftauchen. Nachher kann ich gut verstehen, dass dem jungen Honsik hier nach Rebellion zumute war. Der Schulleiter schüttelt den Kopf, als ich nach dem Schüler Gerd Honsik frage. Kein Wort über mögliche Motive, Hintergründe, Ursachen der Tat. Keinerlei Hinterfragen der Erziehungsmethoden im Internat. Keinerlei Selbstzweifel. So was Ungeschicktes, sagt der Mann nur, der Bursch verdirbt sich ja die ganze Karriere.
Ich spüre Zorn in mir hochsteigen. Hättest du Dumpfbacke ihm was Vernünftigeres beigebracht, denke ich mir. Plötzlich ist mir der junge Rechtsradikale sehr viel sympathischer als dieser selbstgerechte Spießer. Ob nach Honsiks Verhaftung und Verurteilung einmal mit den Schülern über den Fall gesprochen worden sei? Der Direktor ist überrascht. Nein, wieso? Honsik sei ja nicht mehr Zögling im Konvikt. Und mit der Schule hatte das Ganze ja nichts zu tun. Die Worte »Damit haben wir nichts zu tun« höre ich später noch öfter.
Ich suche Schüler, die Gerd Honsik gekannt haben. Ein hochaufgeschossener Sechzehnjähriger namens Stefan läuft mir über den Weg. Er ist Fuchsmajor bei der Markomannia, der Schülerverbindung, die Honsik einst an der Schule gegründet hat. Stefan hat den Älteren bewundert und hofft, nun dessen Nachfolger als Sprecher der Gruppe zu werden. Ein netter Junge, Apothekersohn aus der Gegend. Höflich und hilfsbereit. Die Markomannia ist eine schlagende Burschenschaft, ihr berühmtestes Mitglied war der SS-General Otto Skorzeny, einst der Befreier Mussolinis. Sie ist seit jeher stramm deutschnational, eine Tradition, die hier im Waldviertel immer gepflegt wurde. Nicht weit von hier hat einst Georg von
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