Zuhause ist ueberall
wichtig bin ich? Das war sicher ein Schmäh, sagt mir später ein erfahrener Redaktionskollege. Typisch Kreisky. Er weiß eben, wie man Leute motiviert.
Nicht-Parteimitglieder ins Team zu nehmen gehört aber auch zur Strategie des neuen SPÖ-Chefs. Er hat gleich von Anfang an Liberale, sozial engagierte Christen, fortschrittlich gesinnte Bürgerliche und alle, die den herrschenden Mief in der heimischen politischen Landschaft satt haben, eingeladen, »ein Stück des Weges mit uns zu gehen«. Viele sind der Einladung gefolgt. Der ganze Stil der Partei soll anders, offener, jünger und einladender werden, heißt es, und die Arbeiter-Zeitung soll dabei eine wichtige Rolle spielen. Eine österreichische Süddeutsche Zeitung sollt ihr machen, sagt der Nationalratsabgeordnete Karl Czernetz. Er meint: eine linksliberale Zeitung. Czernetz liebt Zeitungen, nicht zuletzt der Zeitungen wegen hat er später das berühmte Café Landtmann gerettet, das verkauft und einem anderen Zweck zugeführt werden sollte. Und auch Kreisky ist ein Zeitungsfreund. Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung wollte er selbst einmal werden.
Ich komme vom Neuen Österreich . Dieses Blatt, das »Organ der demokratischen Einigung«, war als erste österreichische Zeitung gleich nach Kriegsende gegründet worden und gehörte den drei »demokratischen« Parteien, ÖVP, SPÖ und KPÖ. Erster Chefredakteur war der Kommunist Ernst Fischer. Die Kommunisten schieden aus, als sie bei der ersten demokratischen Wahl nicht mehr ins Parlament kamen. Das Neue Österreich war nicht schlecht, viele später bekannte und angesehene Journalisten haben dort begonnen. Aber es war klar, dass seine Konstruktion auf die Dauer nicht bestehen konnte. Eine Zeitung im Eigentum von zwei politischen Parteien, ÖVP und SPÖ, die je nach ihrer Stärke im Parlament den Chefredakteur und dessen Stellvertreter stellten – das ging nicht mehr. Das Blatt wurde 1963 an einen privaten Eigentümer verkauft, schwächelte bald und sollte eingestellt werden.
Daraufhin entschloss sich die Redaktion zu einem kühnen und einigermaßen verrückten Schritt: Selbstverwaltung. Eine Zeitung im Eigentum derer, die sie machten. So etwas gab es in Frankreich, hatten wir gehört, bei der berühmten Zeitung Le Monde . Mehrere Redakteure des Neuen Österreich steckten eigenes Geld in das Projekt. Ich nicht, denn ich hatte keines, durfte mich aber trotzdem als Zeitungsmiteigentümerin fühlen. Treibende Kraft des Ganzen war Hans Mann, unser Kommunalredakteur. Er betrieb im Nebenberuf einen von seinen Eltern geerbten Eissalon im Wiener Bezirk Döbling.
Hansl gehörte zur Spezies der journalistischen Originale, jüngere Version. Kugelrund, durch nichts aus der Ruhe zu bringen und herzensgut. In seinem Eissalon bedienten während der Saison Prostituierte aus dem Bordell in Steyr. Ihnen täte eine Auszeit gut, fand unser Kollege, und diese übersiedelten ganz gern im Sommer nach Wien. Sie waren freundlich und höflich. Wir gingen nach der Arbeit gern zu Hansl und seinen Damen auf ein Eis.
Natürlich scheiterte das Selbstverwaltungsexperiment nach kurzer Zeit. Meine Kollegen verloren ihr Geld und wir alle unseren Job. Anfang 1967 wurde das Neue Österreich endgültig eingestellt, und ich bewarb mich bei der Arbeiter-Zeitung .
Und nun bin ich AZ -Redakteurin im Auslandsressort. Eine österreichische Süddeutsche Zeitung wird unser Blatt nicht, das wird bald klar. Kreisky lässt seinen Journalisten viel freie Hand, aber als unsere Kollegen aus der Innenpolitik anfangen, die SPÖ-Linie von links zu kritisieren, zieht er die Grenze. Wir leisten uns keine eigene Zeitung, damit sie mit uns schimpft, bedeutet er den Redakteuren. Das besorgen schon die anderen. Ihr sollt den Leuten erklären, was unsere Politik ist, und nicht, was sie sein sollte.
Redaktion der Arbeiter-Zeitung 1970 mit Chefredakteur Paul Blau (vierter von links sitzend) und Barbara Coudenhove-Kalergi (erste von rechts sitzend)
Mir gefällt es trotzdem gut bei der Arbeiter-Zeitung . Das Beste an ihr ist ihr Haus. Unsere Redaktion befindet sich im historischen Gebäude des Vorwärts-Verlags auf der Rechten Wienzeile. Es ist ein stolzes Monument der alten Arbeiterbewegung. Die Skulptur eines muskulösen Arbeiters über dem Eingang. Der Chefredakteur Paul Blau sitzt in dem Büro, in dem einst Otto Bauer saß, einer der Großen der alten Sozialdemokratie. Die Möbel, schwarzes Holz mit Messingbeschlägen, sind noch alle original. Die meisten Redakteure
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