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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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gebracht, der sukzessive nach links führte. Von der großbürgerlich-konservativen Presse zum gemäßigt-liberalen Kurier , zum Neuen Österreich , dem »Organ der demokratischen Einheit«, zur sozialdemokratischen Arbeiter-Zeitung und schließlich, weil sich hier die meisten Möglichkeiten boten, zu Radio und Fernsehen. Auslöser dafür war die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. In der Öffentlichkeit ist davon in jenen Jahren wenig die Rede. Weder auf der Universität noch in den Redaktionen, in denen ich arbeite, kommen die Ereignisse zwischen 1938 und 1945 vor, oder wenn, dann nur unter den Codebegriffen »diese dunkle Epoche« oder auch »die Kriegszeit«. Judenverfolgung? Denunziationen? Arisierungen? Auschwitz? Mauthausen? Die Österreicher, die an all dem beteiligt waren? Fehlanzeige.
    Ab und zu geschieht etwas, das mich und andere aus meiner Generation mit der Nase auf die Tatsache stößt, dass vor gar nicht langer Zeit in unserem Land die Hölle los war und dass es gar nicht so wenig Leute gibt, die noch heute dieser Hölle nachtrauern. Der Kameradschaftsbund samt seiner SS-Fraktion feiert Nostalgietreffen. Ein Holocaust-Überlebender beschwert sich darüber, dass Blutrichter aus der Nazizeit noch immer im Amt sind, wird von diesen verklagt und landet im Gefängnis. Bei einem Prozess gegen einen ehemaligen KZ-Aufseher, einem der letzten, werden überlebende KZ-Insassen, die als Zeugen aussagen, vom Publikum angepöbelt. Ich lese die ersten Bücher, die sich mit jener »dunklen Epoche« beschäftigen, darunter Eugen Kogons »Der SS-Staat«. Und ich lerne Menschen kennen, die als Juden vertrieben wurden und zurückgekehrt sind. Meistens stehen sie links, und oft sind sie Kommunisten. Georg Eisler ist einer davon.
    Ich erfahre Dinge, von denen ich bisher keine Ahnung hatte, und lerne Menschen kennen, derengleichen ich nie gesehen hatte. An der Spitze den KP-Funktionär Franz Marek. Der Bub aus dem Wiener Judenviertel war als Jugendlicher linker Zionist. Noch als Schüler hatte er den Februar 1934 in Wien erlebt und danach in Deutschland den Aufstieg der Nazis. Er schloss sich den Kommunisten an. Jetzt wollte er nicht mehr nach Palästina, sondern hier, in Europa, den Kampf aufnehmen, zuerst in Österreich und nach 1938 in Frankreich. Bis zum Kriegsende lebte er mit falschen Papieren als illegaler »Berufsrevolutionär«.
    Er wusste, dass er sich auf ein Himmelfahrtskommando einließ. Die illegale französische KP betraute den blutjungen Österreicher mit der Leitung der »travail anti-allemand«. Die meisten seiner Mitstreiter überlebten diese Arbeit nicht. Franz schrieb darüber später: »Jeder Tag schien mir ein gewonnener Tag, als ein geglückter Dienst, der mich immer mehr und jeden Tag überzeugter sagen ließ: Auch wenn es heute aus ist, ist mein Pensum bereits zufriedenstellend, meine Arbeit bereits sinnvoll gewesen. Heute scheint es mir gewiß, daß mein ganzer Habitus, mein ganzer Lebensstil, weitgehend durch die Tatsache geprägt war, daß die Jahre die Illegalität die glücklichste Zeit meines Lebens waren. Ich dachte oft an die prominenten deutschen Kommunisten – Albert Norden, Bruno Köhler, Alexander Abusch –, die ich 1940 in Frankreich getroffen hatte, auf der Flucht nach Lateinamerika, um sich ›aufzuheben‹. Wofür? Wozu leben die eigentlich, fragte ich mich. Und was ist das für eine internationale Solidarität, die die Franzosen allein bluten läßt? Auch ich hatte ein kubanisches Visum, von meiner Schwester Netti unter schweren Opfern gekauft, aber ich dachte nicht daran, davon Gebrauch zu machen.«
    Franz’ »Habitus«, durch den illegalen Kampf geprägt, war Bedürfnislosigkeit, völliges Desinteresse an Hab und Gut, fast asketisch. Aber euer Kampf ging doch um die Freiheit, frage ich, wie konnte es sein, dass ihr einem Diktator wie Stalin gefolgt seid? Ja, wir waren unmenschlich, sagt Franz. Aber wir waren auch unmenschlich zu uns selber. Wie früher die Jesuiten, denke ich bei mir. Die müssen auch versprechen, sich vom Papst überallhin schicken zu lassen, wo sie gebraucht werden. Und zu den Opfern, zu denen sie sich verpflichten, gehört auch das Sacrificium Intellectus.
    »Später habe ich mich oft gefragt«, schreibt Franz in seinen Erinnerungen, »ob sich die vielen Opfer, die wir hatten – bis zu 150 hatte ich einmal gezählt – ›ausgezahlt‹ haben. Noch immer bin ich der Ansicht, daß, wenn auch der unmittelbare ›Nutzen‹ nicht immer sehr groß,

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